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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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seiner mannigfachen Erfahrungen mit Emigranten auch nicht den Hauch einer Ahnung hatte, was der Schock der Heimatlosigkeit und der Schrecken der Fremde bedeutete, als eine nicht zu überbietende Strapaze erschienen.
    »Ein Albtraum, der selbst einen braven Ehemann wie mich zum Säufer machen könnte«, fasste er zusammen, als er sich - absolut gegen seine Art - den zweiten Whisky einschenkte.
    »Was erwartest du auch von Menschen, die sich nur in ihrer eigenen Sprache verständigen können«, erwiderte Miriam Silverstone. Es sollte ein Scherz sein. Ihr feiner Humor galt viel in ihrem Freundeskreis. Miriam stammte aus Pretoria; sie hatte in drei Jahren Ehe kaum ein Wort Suaheli gelernt und war immer noch außerstande, ihrem Personal klarzumachen, dass die Butter in den Eisschrank gehörte und der frisch geröstete Kaffee nicht. Ausnahmsweise zollte Abraham seiner Miriam keinen Beifall für diesen Witz. Er war zu erschöpft für Ironie. Jettels Erschöpfung übertraf noch die ihres rührigen Helfers. Von dem Moment an, da sie ihre Füße auf den Boden Kenias setzte, hatte sie sich zur ewigen Hölle verdammt, weil sie im Englischunterricht grundsätzlich Liebesromane gelesen und bei jeder Arbeit von Suse Pinner abgeschrieben hatte. »Und der blöde Buchbinderkurs war auch eine Schnapsidee«, schleuderte sie mit dem Temperament der vergangenen Zeit einem einbeinigen Mann entgegen, der vor dem Zollgebäude stand und glücklos versuchte, den Passagieren von der »Adolph Woermann« Ketten aus Muscheln und Armbänder aus Elefantenhaar zu verkaufen.
    »Schnaps stinkt«, erinnerte sich Regina. »Warum hat der arme Mann nur ein Bein, Mama?«
    »Um Himmels willen hör jetzt auf, mir Fragen zu stellen, die ich nicht beantworten kann. Wir sind doch nicht im Kindergarten.«
    »Jüdische Kinder dürfen ja gar nicht in den Kindergarten.«
    »Das darfst du hier nicht mehr sagen, Kind«, mischte sich eine Frau ein, die an ihrer Reisetasche zerrte. Sie schüttelte ihren Kopf und hob einen Finger.
    »In Afrika darf ich alles sagen«, widersprach Regina. »Das hat mein Papa gesagt.«
    Die lähmende Sprachlosigkeit in einem Moment, in dem es darauf ankam, sich präzise auszudrücken, hatte Jettel als eine Schmach empfunden, die sie bis zum Jüngsten Tag brandmarken würde. »Ich kam mir vollkommen verblödet vor«, weinte sie noch auf dem Bahnhof von Nairobi in Walters Hemd, »als ob alle mit dem Finger auf mich zeigten. Du hast mir so gefehlt. In so einer Situation braucht eine Frau ihren Mann.«
    »Einer, der auf der Schule nur Latein und Griechisch gelernt hat, ist in diesem Land besonders tauglich als Dolmetscher, Jettel.«
    Die Passkontrolle in Mombasa erweckte Erinnerungen, die ihren Körper in Brand setzten. Auf einen Schlag aus-gelöscht waren die fünf Wochen auf dem Schiff, die gnädige Zeit der relativen Ruhe, die kurze Windstille in einem Lebenssturm, dem auf die Dauer nur die Starken gewachsen waren. Als sie ihren Pass in der Handtasche suchte, wurde Jettel von einem Blitzstrahl geblendet, der sie noch einmal zu der beschämten, entsetzten Frau machte, die sie in Hamburg gewesen war. Innerhalb von Sekunden war sie zurück in Deutschland, war sie wieder die Geisel von Menschen, die keine Gnade kannten, war wieder eine in Angst erstarrte Salzsäule. Die Erinnerungen waren so klar, so gewaltig, so peinigend, dass Jettel für einen furchtbaren Moment nicht begriff, dass sie in Mombasa angekommen war und dass der für die Zollkontrolle zuständige Angestellte, ein Afrikaner mit sanften Augen und riesigen Händen, kein menschenverachtender Sadist war. Er war liebenswürdig und ansteckend fröhlich.
    Jettel sollte noch jahrelang die Beute ihrer Ängste werden. In der allerletzten Stunde, die sie in ihrer deutschen Heimat verbringen musste, hatte nämlich eine Hamburger Beamtin für eine von da an nie mehr überwundene Phobie vor Menschen in Uniform gesorgt. Diese Beamtin, eine untersetzte Frau mit hervorstehendem Kinn und einer durchdringenden Stimme, hatte der verängstigten Jettel befohlen, sich in einem winzigen, lediglich mit einer durchsichtigen Gardine zu schließenden Raum - vor den Augen ihrer laut schluchzenden Tochter - nackt auszuziehen. Bis zu der entwürdigenden körperlichen Untersuchung hatte Jettel dann siebenundvierzig Minuten warten müssen.
    Hamburg war nicht mehr, nicht für die, die das rettende Paradies erreicht hatten. Der Passkontrolleur von Mom-basa trug eine weiße Jacke mit goldenen Knöpfen. Seine

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