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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Männern gut Freund zu bleiben. Auf dem Schiff hatte Jettel Freimann um seine Sicherheit und Lässigkeit beneidet. Nicht nur, dass er allein reiste, er schien tatsächlich ungebunden. Außerdem machte er einen absolut sorglosen Eindruck, obgleich er ja, wie die anderen Auswanderer auch, dabei war, sein Leben ganz von vorn zu beginnen. Nun stand der Charmeur in der Zollhalle von Mombasa, und er lächelte Jettel so warmherzig zu, als wären sie ein glücklich liebendes Paar. Dem afrikanischen Zollangestellten, der immer noch das Spitzentaschentuch in der Hand von der heulenden Memsahib fixierte, nickte Freimann kurz zu. Recht gebieterisch für einen Mann, der noch keine Stunde im Land war und die Gepflogenheiten der Kolonie nicht kennen konnte, zeigte er auf die drei Kisten mit der Aufschrift »Dr. Walter Redlich, Rongai, Kenya, East Africa«. Ziemlich harsch, aber in einem Oxfordenglisch, das von den Umstehenden mit neidvollen Seufzern bedachte wurde, fragte er den Afrikaner nach der vierten Kiste.
    Die verblüffte Jettel krallte sich in den Jackenärmel ihres strahlenden Ritters, ließ ihn entschuldigend los, wischte ihre Augen trocken, strich sich übers Haar und zählte mit erstaunlich ruhiger Stimme auf, was in der vermissten Kiste, der wertvollsten des kostbaren Quartetts, gewesen war. »Meine Mohnmühle war da drin«, fiel ihr ein. Schon tropften wieder Tränen auf das weiße Leinenkleid. »Wie soll ich denn backen, wenn ich den Mohn nicht mahlen kann? Die ganze Reise hab ich mich darauf gefreut, meinem Mann einen Mohnkuchen zu backen. Wir haben uns über ein halbes Jahr nicht gesehen. Er war Rechtsanwalt. Und Notar. Ich hab mir extra von seiner Schwester aus Sohrau das Rezept für seinen Lieblingskuchen geben lassen. Er hat ihn immer bei ihr gegessen. >Redlichs Hotel< in Sohrau war berühmt für seinen Mohnkuchen.«
    »Das Problem dürfte sich von selbst lösen, gnädige Frau. Ich glaube, hier wächst kein Mohn.«
    Von Ironie, für die sie kein Empfinden hatte, und von Männerlogik, die sie in keiner Lebenslage ausstehen konnte, war Jettel Redlich nicht von einem Kummer abzulenken, der sie zerriss. »Aber mein ganzes Herz steckt gerade in dieser Kiste«, klagte sie. Ihre Stimme überschlug sich. »Und sämtliche Puppen meiner armen kleinen Tochter.«
    »Na, wenigstens eine hat sie vor der Sintflut gerettet«, stellte Gerd Freimann fest. Lächelnd schüttelte er Puppe Josephines Hand. Regina ließ es geschehen. »Jambo«, sagte er, denn die vielen schlaflosen Nächte auf der »Adolph Woermann« hatte der junge Mann nicht, wie die weiblichen Passagiere einander glaubhaft anvertrauten, mit schönen Mädchen, sondern mit einem Wörterbuch für Suaheli verbracht.
    »Jambo«, flüsterte Regina entzückt zurück. Sie vergaß ihre Angst und leckte ihre Lippen. Der Ohren schmei-chelnde Willkommensgruß von Ostafrika war das erste Suaheliwort, das sie bewusst wahrnahm. Noch ahnte sie nicht, dass es Sprachen gibt, denen ein besonderer Zauber innewohnt, und doch hatte dieser Zauber schon zu wirken begonnen.
    Der junge Frauentröster, Kinderbezwinger und Puppenfreund war in Köln Englischlehrer an einem Gymnasium gewesen. Er galt als pädagogisch außergewöhnlich begabt und war - selbst bei unwilligen und unbegabten Schülern
    - ungewöhnlich beliebt. Entgegen den Gepflogenheiten der Zeit und trotz massiver Drohungen seitens seines Nachfolgers hatten ihn drei Jungen aus seiner Untersekunda vor sechs Wochen zum Zug nach Hamburg gebracht. Jettel, die nie einen Freund vergaß und schon gar nicht einen blendend aussehenden Mann, der sie aus der Verzweiflung der Sprachlosigkeit gerettet hatte, inspirierte er für alle Zeiten zu dem Satz: »Die Kölner sind besonders sprachbegabt und sehr, sehr hilfsbereit.«
    Gerd Freimann war nicht nur ein Philanthrop. Seine Geduld übertraf noch seine Selbstlosigkeit. Er ließ sich so ausführlich vom verlorenen Teewagen und der nagelneuen Mohnmühle erzählen, als wären sie Erbstücke der eigenen Familie; weder lachte er, noch lächelte er, als er von Jettels abgängigen Wollkleidern und dem verlorenen Persianermantel erfuhr. Der aus seiner Heimat verbannte Pädagoge, der einst geglaubt hatte, mit Faust im Tornister und Leberwurstbroten in Pergamentpapier wäre ein Mann für jede Lebenswanderung gerüstet, klärte Silverstone ausführlich und zu dessen Erleichterung auf kurzem, direkten Weg über den Zusammenhang zwischen Jettels Tränenlawine und dem abhanden gekommenen Auswanderungsgut

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