Nur die Liebe bleibt
Marinemütze saß keck auf einem grauen Lockengewirr, und seine imposante Hornbrille hatte kein Glas und nur einen Bügel. Er war ein Menschenfreund und Kindernarr. Auf keinen Fall wäre ihm die Idee gekommen, einer Reisenden und noch dazu einer Memsahib aus Europa das Ablegen ihrer Kleider zu befehlen und ihr zu unterstellen, sie könnte wertvolle Münzen oder Briefmarken in den Körperteilen versteckt haben, die nur der eigene Mann berühren durfte. Der freundliche Kenianer wusste gar nicht, wie ein Mensch andere Menschen schikaniert. Er kannte noch nicht einmal das Wort. Als er Jettel und Regina kennenlernte, war er viel zu beschäftigt gewesen, sich um Josephine mit der bloßen Brust zu kümmern. Im gespielt strengen Bass, den Menschen, die nicht soeben einer Schreckenskammer entkommen waren, ausnahmslos als Scherz eines gutmütigen Großvaters erkannt hätten, hatte der Riese nach Josephines Puppenpass gefragt. Jettel aber hatten sein entschlossener Ton und die scheinbare Wiederholung der Umstände umgehend aus der Bahn katapultiert. Zur Verblüffung des konsternierten Mister Silverstone hatte sie zu zittern begonnen. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, und sie hatte einen Ausdruck gebraucht, den er zum Glück nicht verstanden hatte. Trotzdem hatte Silverstone spontan das Fazit gezogen, die Frauen aus Europa wären allesamt ein bisschen schwächlich und neigten zur Hysterie. »Vielleicht sind die klimatischen Gründe dafür verantwortlich«, mutmaßte er, als er auf seiner Veranda entspannt in den Nachthimmel schaute, »wer weiß, was so ein Winter den Menschen antut.«
»Ich glaube, daran ist eher ihre Erziehung schuld«, ver-mutete Miriam. »Ich habe gehört, sie sind furchtbar verweichlicht und wehleidig. Sie würden sich nicht mit kaltem Wasser waschen und grundsätzlich bei geschlossenem Fenster schlafen. Vielleicht machen sie auch ihre Essgewohnheiten seltsam. Meine Freundin Sheila hat mir erzählt, sie hätte in Berlin erlebt, dass die Leute dort Kuchen und Brot mit Mohn essen und Unmengen von rohem Hackfleisch vertilgen. Und harte Eier, die in Salzwasser schwimmen. Das würden wir ja noch nicht einmal unserem Hund antun.«
Der Aufregung bei der Passkontrolle war noch eine Steigerung gefolgt. Weil Silverstone mit seinem Partner telefonieren wollte und dies nur im Büro des Hafenmeisters tun konnte, hatte er Jettel und Regina einen kurzen Moment in der Zollhalle sich selbst überlassen. Dort wurde das große Gepäck übergeben und die Formalitäten erledigt. In Jettels Fall handelte es sich um die vor Wochen von der Firma Danziger in der Breslauer Goethestraße abgeholten Kisten, die nach der Reise zu Schränken umgebaut werden sollten. Vier waren es gewesen, doch genau wie der Spediteur in einem branchenüblichen Scherz geunkt hatte, waren nur drei von ihnen in Mombasa ein-
Jettel, schon in ihrer Jugend mit einem ungewöhnlich scharfen Blick für kleine Kalamitäten und große Katastrophen bedacht, schlug ihre Hände vors Gesicht. Sie schrie so laut abwechselnd »Mein Gott« und »Walter«, dass die Umstehenden sofort auf sie zuliefen und mit ausgebreiteten, trostbereiten Armen ausgerechnet Regina umzingelten. Die fühlte sich eingeschlossen, sah einen Moment ihre Mutter nicht mehr und fing ebenfalls an zu schreien. Bereits aus einer Entfernung von einem Meter hatte Jettel registriert, dass ausgerechnet die Kiste mit ihrem teuren Pelzmantel und den besten Stücken ihrer Wintergarderobe fehlte. Trotz der wiederholten Hinweise von Heini Wolf auf das Klima in Kenia hatte sich die Auswanderin nicht von ihrem Persianer und den neuen Wollkleidern trennen mögen.
Abhanden gekommen war außer der Winterausstattung das Rosenthal-Service, die silbernen Sabbatleuchter von Jettels Großmutter, Walters kleine Reiseschreibmaschine und schließlich Reginas Puppen, der Teddybär, der geliebte Plüschhase und Unmengen von mechanischem Aufziehspielzeug, von dem eine Parole in Auswandererkreisen wissen wollte, es sei in Kenia heiß begehrt und man könne es sofort zu Geld machen. Auch der zerlegbare rote Teewagen war in der vierten Kiste gewesen. Das geliebte Tischchen war als einziges Möbelstück aus Leobschütz mitgenommen worden, er war das Hochzeitsgeschenk von Onkel Thomas. Noch am letzten Abend in Hamburg, bei Scholle und Spargel und roter Grütze, hatte der Onkel gesagt, der Gedanke täte ihm gut, sich den schönen Teewagen in Afrika vorzustellen. Ina die Sorgsame hatte die empfindlichen Glasplatten
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