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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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das fließende Wasser, die geteerten Straßen und die Herrlichkeiten, die es in der Markthalle zu kaufen gab. Jedoch vermisste er, ebenso wie Regina, die Farm und das Gleichmaß der Tage unter Menschen, die ihm so vertraut gewesen waren wie der Himmel über dem Kopf und das Gras unter den Füßen. Nur, anders als Regina, ließ Owuor keine Gelegenheit aus, um darauf hinzuweisen, dass er weder Nairobi noch die Leute mochte, die dort wohnten und die ihn nicht einmal so gut kannten, dass sie ihm »Jambo« sagten, wenn sie an ihm vorübergingen. »Brauchen Sir etwas?«, fragte ein Mann mit einer dunkelroten Mütze und einer weißen Kanne auf einem kleinen Tablett. Mit der Linken deutete er in Richtung Speisewagen. Seine englische Aussprache, hart und mit gutturalen Lauten, ähnelte der Walters.
    »Sir braucht nichts«, sagte der mit den lachenden Augen und dann, weil seine gute Laune ihn gesprächig machte, in der Sprache der Kikuyu: »Danke. Du bist ein guter Mann.«
    Der Kellner wieherte. Die schwarze Bommel seines Fes hüpfte. Das weiße Kännchen auf dem spiegelnd blank geputzten Silbertablett schlitterte von einer Seite zur anderen und wurde mit dem übelsten Fluch, den die Kikuyu-sprache kannte, vor einem selbstmörderischen Sprung in die Tiefe bewahrt. Wäre es nicht in Kenia ein unverzeihlicher Verstoß wider Sitte und Kolonialstolz gewesen, wenn einer in der Uniform Seiner Majestät mit einem einheimischen Kellner parlierte, als sei der ein Mann vom eigenen Stand, wäre es ein animierendes Gespräch über Geborgenheit, Vertrautheit und Muttersprache geworden.
    »Ich komme bald wieder«, sagte der Kellner. Er sprach immer noch Kikuyu.
    Die Wehmut kannte kein Pardon. Sie brannte wie Salz in einer frischen Wunde. Es gab überraschende Momente, die Walter aus dem Hinterhalt anfielen und Hohn lachten. Da vermisste er die Farm nicht weniger als Owuor und vergaß, dass er sich Tag für Tag aus Ol’ Joro Orok weggesehnt, um seine Ehe und seinen Verstand gefürchtet hatte. Nun widerfuhr es ihm, dass er sich in melancholischer Stimmung nach der Schönheit des Hochlands sehnte, nach den heiteren Menschen auf der Farm und den Kindern, die sich an den Scherzen und Wortspielen des Bwana erfreut hatten. Vor allem vermisste Walter seinen Freund Kimani. Er war Vorarbeiter auf der Farm gewesen, und mit ihm hatte Walter - oft schon bei Sonnenaufgang nach einer Nacht ohne Schlaf - am Rande der Flachsfelder gesessen und von Krieg, Mord, Leben und Tod gesprochen. Nur Kimani und noch nicht einmal Owuor hatte gewusst, dass der Vater und die Schwester vom Bwana in Deutschland sterben würden. »Und du«, hatte Kimani verstanden, »wirst nicht da sein, um deinen sterbenden Vater vor die Hütte zu tragen. Das ist schlecht für einen Sohn.«
    »Nein, Kimani, ich werde nicht da sein. In Deutschland ist das Leben nicht so gut für Söhne wie in Ol’ Joro Orok.«
    Als der Tag gekommen war, für immer »Kwaheri« zu sagen, hatte Kimani, der alles verstand, ohne dass es einer auszusprechen brauchte, die Vorstellung nicht ertragen, nach dem Abschied vom Bwana in das alte Leben der Unwissenden zurückzukehren - ohne die Bilder und Worte aus einer Welt mit vielen Fenstern und gewaltigen Türen. Zwei Tage nachdem die Redlichs die Farm verlassen hatten, fand eine alte Frau beim Holzsammeln Kimanis Körper im Wald.
    Walter hatte mehr Zeit gehabt als Kimani, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Nach Inas letztem Brief, der im November 1941 durch das Rote Kreuz nach Kenia gelangt war, wusste er von ihrer und Käthes anstehender Deportation in den Osten. Und er wusste auch, dass diese Reise den Tod im Konzentrationslager bedeutete. Eine Stunde später hatte es auch Regina gewusst. Sie war damals neun Jahre alt und sagte zum ersten Mal: »Ich hasse die Deutschen«, ohne dass sie ihr Vater ermahnte, sich vor Verallgemeinerungen zu hüten.
    Der Zug, der auf die Minute pünktlich aus Nairobi abgefahren war, was so gut wie nie vorkam, hatte noch kein einziges Mal auf freier Strecke gehalten. Auch das war eine Ausnahme. Walter schaute sich im Abteil um: Es war auffallend sauber, die Fensterscheiben waren blank geputzt und die Glühbirne an der Decke augenscheinlich erst am Vortag von Insekten und toten Fliegen befreit worden. Himmelblau und maisgelb waren die Polstersitze. In einer Ecke lagen kleine, frisch bezogene weiße Kissen, unter ihnen eine dünne grüne Wolldecke. Im Speisewagen hatte Walter beim Einsteigen weiß eingedeckte Tische und dickbäuchige

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