Nur die Liebe heilt
war er ihr so weit wie möglich aus dem Weg gegangen. Meistens war er erst nach Hause gekommen, wenn sie schon Feierabend hatte, und hatte den Großteil der Arbeit in seinem Büro in Hope’s Crossing erledigt.
Nur ein einziges Mal hatte er etwas mehr Zeit mit ihr verbracht, am Mittwoch, als Evie sich bereit erklärt hatte, bei einem weiteren Bewerbungsgespräch anwesend zu sein. Die Frau war perfekt gewesen – jung, enthusiastisch und energiegeladen. Evie hatte sie umgehend akzeptiert. Wobei er sich fragte, ob allein Stephanie Kramers Zeugnisse der Grund dafür waren oder nicht auch zum Teil Evies Wunsch, endlich wieder in ihren Schmuckladen zurückzukehren.
Stephanie wollte die Stelle unbedingt haben, konnte aber nicht sofort beginnen, weshalb Evie zögernd zugestimmt hatte, noch eine Woche länger zu bleiben. Bis nach dem Labor Day.
Taryn hatte in den letzten zehn Tagen Fortschritte gemacht, die geradezu an ein Wunder grenzten. Inzwischen konnte sie ohne Hilfe mehrere Schritte allein gehen, und ihr Wortschatz und ihre Aussprache waren um Klassen besser als im Krankenhaus.
Er war Evie zutiefst dankbar, dass sie sich bereit erklärt hatte, länger zu bleiben, obwohl das natürlich bedeutete, dass er sich eine weitere Woche zusammenreißen und einen gesunden Abstand zu ihr halten musste.
Doch selbst wenn er nicht zu Hause war, fiel es ihm zunehmend schwer, sich auf irgendetwas richtig zu konzentrieren.
In diesem Moment zum Beispiel war eigentlich eine wichtige Besprechung mit seinen Anwälten angesetzt, um über den Bau einer Rehabilitationsklinik in der Altstadt von Hope’s Crossing zu sprechen. Sie hatten ein Areal ins Auge gefasst, auf dem mehrere abbruchreife Häuser standen. Doch dann war ihm aufgefallen, dass er das Wichtigste vergessen hatte. Wie ein Schuljunge, der seine Hausaufgaben aufdem Küchentisch liegen gelassen hatte, musste er nach Hause rennen.
Evies Ankunft an diesem Morgen hatte ihn offenbar so durcheinandergebracht, dass er nicht mehr an die Verträge gedacht hatte, die er für die Besprechung dringend brauchte.
Nun wollte er möglichst unbemerkt in sein Büro schleichen, sich die Verträge schnappen und wieder verschwinden. Kein Wortgeplänkel mit Evie, keine kleinen Vertraulichkeiten und auf gar keinen Fall ein weiterer Kuss.
Wirklich verdammt schade.
Im Haus war es still. Es war der Tag, an dem Mrs Olafson immer einkaufen ging, aber zumindest hatte er erwartet, Taryns Lieblingsmusik zu hören, zu der sie immer trainierte, oder Geräusche von der Spielekonsole, die der Hoffnungsengel geschickt hatte. Zumindest Gelächter und Geplauder.
Aber nichts. Nur Stille.
Der Bus stand noch vor der Tür, also mussten sie zu Hause sein. Neugierig geworden, steckte er den Kopf in Taryns Zimmer, nur um festzustellen, dass es leer war. Vielleicht waren sie am Pool. Morgens war es in den Bergen zwar bereits ziemlich kühl, aber das Becken war beheizt, und man konnte bis zum ersten Schneefall darin schwimmen.
Oder sie waren spazieren gegangen. Evie hielt sich gern draußen auf, bei Sonne und frischer Luft blühte sie geradezu auf. Das konnte er gut verstehen. Ihm fiel es draußen beispielsweise auch leichter, klar zu denken, was vielleicht an seinem ADS lag.
Die Verträge zu vergessen war ziemlich typisch für die Konzentrationsschwierigkeiten. Die Schulzeit war ein Albtraum für ihn gewesen, weil er ständig Hausaufgaben, anstehende Tests und Schreiben der Lehrer vergessen hatte. Sein Vater hasste die Schwäche seines Sohnes und konnte nicht begreifen, warum Brodie sich nicht einfach ein bisschen mehr anstrengte.
Er hatte es versucht, aber die einzige Rettung war schließlich der Sport gewesen. Wenn er schwamm, Ski fuhr oder joggte, schienen alle Verbindungen in seinem Hirn mit einem Mal tadellos zu funktionieren.
Heute, als Erwachsener, hatte er Techniken gelernt, um das Chaos in seinem Kopf zu beseitigen, doch manchmal, wenn er gestresst war, machte er noch immer dieselben Fehler. Diese Verträge waren das perfekte Beispiel dafür. Er hätte sie nicht vergessen dürfen. Das Treffen mit seinen Anwälten war der wichtigste Termin an diesem Tag.
Am besten hätte er sie nach dem Lesen gleich in seine Laptop-Tasche gesteckt, dann hätte er sich jetzt nicht abhetzen müssen. Er nahm die Unterlagen von seinem Schreibtisch, steckte sie unter den Arm und eilte in die Küche, um von dem Bananenkuchen zu essen, den Mrs Olafson gebacken hatte. Heute Morgen – trotz des verführerischen Dufts im ganzen
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