Nur die Nacht war Zeuge (Mord Azur) (German Edition)
Sorte. Alle mochten ihn, fanden seinen Charme und seine Wortgewandtheit hinreißend. Doch warm wurde keiner mit ihm. Echte Freunde hatte Dick nicht, keinen einzigen.“
„Erstaunlich wenige Männer haben echte Freunde“, warf Irina Honig ein. „Um Freundschaften zu schließen, muss man sich öffnen, das können Männer in gewissen Positionen nicht mehr. William hatte nur mich als Freund.“
„Sie hatten großes Glück mit Ihrem Mann“, sagte Ken Bernstein und verfiel wieder in seine Gedanken über die Dicks und die Villepins dieser Welt. Dick hätte Politiker werden sollen wie sein Großvater, der absolute Gentleman. Der Großvater hatte Dicks Einstellung zum Leben geprägt, den Lebensstil einer vergangenen Epoche, in der nicht jeder hergelaufene Tellerwäscher Millionär werden konnte. Geld gebührte nur dem, der die passenden Manieren dazu hatte. Feudalistische Seidenhosen und Rüschenhemden würden den schönen Dick gerechter kleiden und auch Julien Villepin. Eine Plauderei am Kamin über die Lage der Nation, mehr im theoretischen Bereich, ein guter Cognac, um auf eine Idee anzustoßen, die man selber nicht ins Rollen bringen musste, das wäre ein lebenswertes Leben. Nicht aber die harten, mühsamen, langwierigen Bedingungen, die die freie Marktwirtschaft durch lästige Konkurrenz heraufbeschwor. Das Heer querköpfiger, blasser Menschen, die penible Fragen stellten und bürokratisch wie preußische Beamte gewisse Papiere zu festen Terminen auf ihren schäbigen Schreibtischen haben wollten. Laute Worte, Streit passten nicht in Julien Villepins Welt. Er selber war höflich, wortgewandt, aber nur bei Sonnenschein. Sobald es regnete zog er sich zurück.
Julien Villepin war mit dem silbernen Löffel aufgewachsen und daran gewöhnt, alles auf einem silbernen Tablett serviert zu bekommen. Er war als Erbe brauchbar, nicht aber als Gründer.
27.
Kens Telefon klingelte. Harry Miller war am Apparat.
„Wir hätten jetzt Zeit für Sie“, er sprach so laut, dass Irina mithören konnte, was er sagte. „Wie wär’s mit einer Bar, die weißen Wände des Konfis hier haben wir lange genug vor Augen gehabt.“
Irina Honig schaute auf die Uhr, es war noch Zeit, Bernard Cabernet aufzusuchen, Ken wollte ihre Meinung über den Mann hören, seine war recht positiv, er hatte ihn nur kurz an der Aufzugtür der Agentur getroffen, aber nicht mehr die Zeit gehabt, ihn zu interviewen, aber vor allem, er sprach kein Französisch und Bernard kaum Englisch.
Bernard Cabernet war ein drahtiger, mittelgroßer Mann, mit kleinen, lustig blickenden Augen und einem Mund, den er immer ein wenig gekräuselt hielt. Ein Blick auf seinen Bauch ließ ahnen, dass er guten Speisen nicht abgeneigt war. Er wirkte auf Anhieb sympathisch.
„Immer sind sie alle sympathisch“, dachte Irina Honig. Sie sah Bernard Cabernet zu, wie er dabei war, ein Regal an die Wand seines neuen Büros in der Rue des Belges zu montieren. Säuberlich hatte er die Bohrlöcher vorgezeichnet und setzte vorsichtig wie ein Zahnarzt den Bohrer an. Unterhalb der Bohrstelle stand eine Kehrschaufel, bereit, den feinen Staub, der aus der Wand kommen würde, aufzufangen. Bernard Cabernet war ganz in seine Arbeit vertieft und hatte das Klopfen am Türrahmen nicht wahrgenommen. Als er den Bohrer absetzte und Irina Honig entdeckte, erschrak er heftig und fasste sich ans Herz.
Irina Honig entschuldigte sich ausgiebig für ihren Überfall, ließ aber mehrfach verlauten, dass sie mehrmals an den Türrahmen geklopft hätte. Dann erklärte sie ihre Person und ihren Auftrag, in erster Linie die französisch sprechenden Beteiligten zu befragen.
„Weswegen sind sie aus der Firma ausgeschieden“, fragte die Detektivin, nachdem Bernard ihr einen Platz angeboten hatte.
„Das hatte mehrere Gründe,“ sagte Bernard und rieb mit gekrümmten Zeigefinger seine Oberlippe. „Die Amerikaner, wie ich von Anfang an befürchtet habe, verhielten sich nicht wie Partner. Sie haben Hampelmänner aus uns gemacht. Sie lockten mit Taschen voller Dollar und diesem schnellen, amerikanischen Charme. Als der Vertag unterschrieben war, wurden ihre wahren Absichten offenkundig. Wir hatten die Arbeit zu erledigen, die Herren im Haus waren sie. Na, und dann reisten sie eines Tages mit besorgten Mienen an und bestanden auf einer Gehaltskürzung.“
„Die von Piet Drachmann vorgeschlagen wurde“, unterbrach Irina Honig, „können Sie sich erklären, warum er bereit gewesen war,
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