Nur die Nacht war Zeuge (Mord Azur) (German Edition)
nicht in ihrem Beruf.
Ihre Gedanken wurden von einer krächzenden Frauenstimme aus der Funksprechanlage des Taxis unterbrochen, die der Fahrer dem Radio vorzuziehen schien: „Ein Wagen nach Super-Cannes, in die Avenue Renoir, zu Villepin, der Herr wartet am Eingang B.“
Irina Honigs Taxi hatte die Ausfahrt von Cannes nach Antibes noch nicht erreicht. „Wie schnell können Sie in der Avenue Renoir sein?“ fragte sie den Chauffeur.
„Ich dachte Sie wollten nach Cap d’Antibes?“ fragte der Fahrer verwundert.
„Ich habe es mir anders überlegt“, sagte Irina Honig, ohne eine Erklärung dafür abzugeben.
„Wir können in zehn Minuten dort sein.“ Der Fahrer benutze den Kreisverkehr am Ende der Schnellstraße und zweigte dann am Boulevard de la Republique ab.
Irinas Taxi hatte Glück, es erreichte die Adresse, in dem Moment, in dem Villepin aus der Haustür kam und in das für ihn bereitstehende Taxi stieg.
„Er hat einen Porsche und einen Mercedes“, erzählte Irina Honig dem Fahrer, „warum bestellt er sich ein Taxi?“
„Er wird etwas bechern wollen“, meinte der Mann, „die sind jetzt sehr streng geworden mit den Kontrollen, nächstes Jahr muss jeder Autofahrer sogar ein Teströhrchen dabei haben und blasen, wenn er in eine Kontrolle kommt.“
„Na ja“, sagte sie nachsichtig, „betrunken fahren ist gefährlich.“ Dann gab sie ihre Anweisung an den Fahrer. „Folgen Sie dem Taxi.“
„Und wenn er bis nach Nizza fährt?“
„Dann fahren wir auch nach Nizza.“
Die Fahrt jedoch ging nach Juan-les-Pins. Das Taxi von Julien Villepin hielt vor einem prunkvollen Hotel am Strand. Julien Villepin traf sich hier sicherlich mit jemandem in einer Bar, zum Dinieren war es zu spät.
Irina Honig bat ihren Fahrer, vor dem Hotel auf sie zu warten.
Es verging keine Minute bis ein weiteres Taxi vor dem Hotel hielt. Zur großen Überraschung von Irina Honig entstieg diesem Taxi Harry Miller. Was in aller Welt hatten die beiden Herren hier zu besprechen, was sie im Martinez nicht besprechen konnten. Aber vor allem warum wollten sie nicht gesehen werden. Sie kannten sich doch und hätten sich ganz offiziell in der Bar vom Martinez treffen können. Irina Honig ging ins Hotel, um die Bar zu inspizieren, vielleicht bot sich ihr eine Gelegenheit, unauffällig das Gespräch der beiden zu belauschen. Doch sie hatte Pech, die Herren hatten in der hintersten Ecke Platz genommen und steckten wie zwei Verschwörer ihre Köpfe zusammen. Hatten sie etwas zu besprechen, dass Paul Katz nicht hören sollte? Wenn ja, was?
47.
Hemdsärmlig und mit gelockertem Schlips saß Ken Bernstein auf der Bettkante. Das Hotelbetthupferl kauend überlegte er, ob er Paul Katz oder Chuck Kaybody anrufen sollte, um ihnen vom nächtlichen Rendezvous der Herrn Miller und Villepin, das Irina Honig ihm sofort gemeldet hatte, zu berichten. Er entschloss sich, das Rätsel zunächst selber zu lösen.
Das Telefon läutete, Estelle Villepin war am Apparat. Sie vergewisserte sich zweimal, ob sie auch mit Ken Bernstein, dem Detektiv der Amerikaner, spreche. Ken Bernstein beschrieb ihr in knappen Worten seinen Besuch in ihrer Wohnung, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie war beruhigt und sprach dann in beschwörenden Worten. „Ich weiß nicht, wer Ihr Hauptverdächtiger ist, aber mein Mann war es nicht. Dafür lege ich meine beiden Hände ins Feuer. Er ist ein Gentleman, wie es diese Sorte Mann heute kaum mehr gibt. Er ist kein Mörder.“
„Liebe Frau Villepin“, beruhigte Ken Bernstein die Anruferin. „Ihr Mann ist keineswegs ein Hauptverdächtiger für mich. Er ist doch schon vor Wochen aus der Agentur aus eigenem Willen ausgeschieden und eröffnet seine eigene Agentur, welche Vorteile hätte der Mord an Piet Drachmann für ihn gebracht. Sehen Sie, er hatte, so weit ich das bis heute einschätzen kann, kein Motiv. Beruhigen Sie sich, wenn ich Ihren Mann auch nochmals befragen muss, und das werde ich sicherlich, dann dient das nur dem Zweck, mehr Klarheit über die ganzen Vorgänge zu erhalten. Nur Ihr Mann, Frau Marrais und Herr Cabernet wissen, was in der Agentur gelaufen ist.“
„Und Harry Miller“, fügte Estelle Villepin hinzu.
„Welche Rolle Harry Miller gespielt hat, ist mir noch ein Rätsel“, sagte Ken Bernstein mit Verzweiflung in der Stimme. „Hat Ihr Mann noch Kontakt zu Harry Miller.“
„Nein, Sie wissen ja wie Geschäftsbeziehungen sind, aus den Augen, aus dem Sinn“, sagte Estelle Villepin.
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