Nur dieser eine Sommer
sie nicht. Da alle befürchteten, die alte Dame sei davongelaufen und könne irgendwo im Dunkeln herumirren, herrschte eine angespannte Stimmung. Wenn auch nicht völlig senil, so war Miranda doch ab und zu ein wenig verwirrt.
„Ich schaue bei mir nach“, verkündete Flo, die sich bereits auf dem Weg zur Tür befand. „Vielleicht ist sie einfach nach Hause gegangen.“
Brett begleitete sie, doch bereits Minuten später waren sie wieder zurück. Bestürzung spiegelte sich auf ihren Gesichtern.
„Sie ist nicht da!“ rief Flo aus. „Seid ihr sicher, dass sie nicht hier irgendwo steckt? Habt ihr auch überall nachgeguckt?“
„Vielleicht sollten wir die Polizei rufen“, schlug Emmi vor.
Cara vernahm ein Keuchen, und als sie die Kinder betrachtete, bemerkte sie, dass deren Augen beim bloßen Hören des Wortes Polizei bereits kugelrund geworden waren. „Augenblick, lasst uns mal nachdenken“, sagte sie, um etwas Ruhe in das Chaos zu bringen. „Könnt ihr euch vielleicht erinnern, wann ihr Miranda zum letzten Mal gesehen habt? Jeder Einzelne von euch?“
„Vor etwa einer halben Stunde“, antwortete Flo. „Wir haben uns den Sonnenuntergang angeschaut.“
„Richtig, dabei sprach sie von den geschlüpften Schildkröten“, fügte Lovie hinzu. „Ich entsinne mich, sie erzählte noch, dass die kleinen Biester gern eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Nest krabbeln.“
„Und dann?“
„Dann sind wir Richtung Haus aufgebrochen, um uns einen Kaffee zu holen“, berichtete Flo. „Ich fragte sie noch, ob das Koffein nicht ihren Kreislauf zu sehr ankurbeln würde, doch sie bestand auf einem Tässchen, weil sie für das Feuerwerk wach bleiben wollte. Lovie und ich sind dann in die Küche gegangen. Wir haben doch noch etwas mit euch geplaudert, während der Kaffee durchlief! Nicht lange! Als wir dann mit der Kaffeetasse zurückkamen, war Miranda weg!“
„Also hat offensichtlich niemand beobachtet, dass sie ins Haus ging“, stellte Cara fest.
„Müssen eigentlich nicht allmählich die Jungen aus dem ersten Nest krabbeln?“ erkundigte sich Emmi. „Das macht Miranda doch liebend gern: zum Strand spazieren und nachschauen!“
„Dann ist sie bestimmt dorthin gegangen“, vermutete Flo erleichtert. „Ich könnte sie erwürgen! Mir kein Wort zu sagen! Himmel noch eins, hoffentlich hat sie sich nicht verlaufen!“ Sie hastete zur Tür.
„Welche Straße war das noch – die 6. oder die 27.?“ fragte Emmi, die Flo bereits auf den Fersen folgte.
„Sie betreut nur die Gruben auf ihrem eigenen Strandabschnitt, es muss also die 6. Straße sein“, erklärte Lovie, während sie ebenfalls hinauseilte.
„Mama!“ Nun rannte auch Cara noch auf die Veranda, um die drei einzuholen. „Glaubst du, du schaffst es noch bis zum Strand? Es war ein langer Tag, und du warst doch ziemlich müde!“
„Und ob ich das schaffe!“ rief Lovie, und ihre Augen funkelten. „Miranda besitzt einen sechsten Sinn in diesen Dingen! Wenn sie wie ein Spürhund zum Nest loszieht, dann kann man drauf wetten, dass es heute Nacht losgeht. Und dann halten mich keine zehn Pferde mehr im Haus! Ich fühle mich blendend. Mach dir nur keine Sorgen um mich.“ Damit schlug sie die Gittertür zu, eilte die Treppe hinab und verschwand im nächsten Moment um die Hausecke.
Drinnen hatte Julia Probleme, die Kinder im Zaum zu halten.
„Nichts da, ihr zwei! Nicht ohne eure Sweatshirts! Sonst fressen euch die Moskitos bei lebendigem Leibe auf!“ Die beiden wollten schon widersprechen, aber sie blieb hart und schnitt ihnen das Wort ab. „Keine Widerrede! Ohne Sweatshirts bleibt ihr hier!“
Die Kinder maulten nicht lange herum, sondern zerrten ihre Sweatshirts aus den Rucksäcken und waren wie der Blitz zur Tür hinaus, sodass ihre Mutter Mühe hatte, ihnen zu folgen.
Das hektische Türenschlagen, die Aussicht auf den Anblick der aus der Sandgrube krabbelnden Jungtiere – all das jagte Cara einen erwartungsvollen Schauer über den Rücken. Sie griff sich ein paar Stranddecken, ihre Mütze und den unvermeidlichen roten Eimer mit den notwendigen Utensilien. „Toy! Kommst du auch mit?“ rief sie, als sie das Mädchen erblickte.
„Nein! Mir reicht es für heute mit dem Strandleben. Ich halte hier die Stellung.“
Brett zwängte sich an Toy vorbei. „Möchtest du wirklich nicht mit?“ fragte er fürsorglich. „Macht’s dir auch wirklich nichts aus, allein hier zu bleiben?“
Sie schüttelte den Kopf und wurde sogar etwas rot,
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