Nur ein Blick von dir
beschäftigte ihn jeden Moment, den er nicht bei mir war, wohingegen ich jeden freien Moment damit verbrachte, Pläne zu schmieden, wie ich ihn zu mir holen könnte. Wie könnte ich die Dinge ändern?, fragte ich mich gerade schon wieder. Wie konnte ich das Amulett dazu bringen, mit einer neuen Überraschung aufzuwarten, die es Callum ermöglichen würde, mich auch irgendwo anders in den Armen zu halten als ganz oben auf der Kuppel? Es musste einen Weg geben, und ich war fest entschlossen, ihn herauszufinden.
Ich wusste, dass er gehen musste, und so lächelte ich ihn breit an. Es gab keinen Grund, ihm das schwerer zu machen, als es sowieso schon war. Mit dem Versprechen, so bald wie möglich am nächsten Morgen wiederzukommen, verschwand er, und mein Abend dehnte sich vor mir aus.
Nun waren es nur noch wenige Tage bis zum Endes des Schuljahrs, und die meisten Lehrer gaben uns keine Hausaufgaben mehr. Sie wollten es wohl genauso schnell hinter sich bringen wie wir auch. Ich hatte allerdings noch etwas nachzuholen, weil ich so lange im Krankenhaus gewesen war, und so war ich noch nicht frei.
Ich langte nach meinem Schulrucksack und versuchte, mich zu erinnern, was ich eigentlich noch machen sollte. Am Nachmittag hatte ich freibekommen, damit ich zur Polizei gehen konnte, doch die lange Liste voller Pflichten wartete auf mich.
Gerade klappte ich meinen Laptop auf, als das Handy klingelte. Es war Abbi, und das hieß, wir würden nun ewig quatschen.
»Hi, Abbi«, sagte ich. »Weißt du was? Die Polizei verfolgt mich nicht weiter strafrechtlich!«
Am anderen Ende des Telefons herrschte ein seltsames, leicht gedämpftes Schweigen.
»Abbi? Bist du da?«
»Ich begreife nicht, wie du mit mir reden kannst, als wäre nichts passiert!«, kam vom anderen Ende eine beißende Stimme. »Nach dem, was du getan hast!«
»Tut mir leid … Abbi? Bist du das?« Die Stimme war vertraut, doch fast nicht wiederzuerkennen.
»Ich will nie wieder mit dir reden, und wenn ich den anderen erst mal erzählt hab, was du getan hast, wollen bestimmt viele von ihnen auch nichts mehr mit dir zu tun haben. Wie kannst du nur so gemein sein? Ich hab gedacht, du wärst meine Freundin.« Ihre Stimme klang regelrecht brüchig.
Ich konnte es nicht glauben, dass das schon wieder passierte und diesmal mit jemand, an dem mir so viel lag.
»Abbi, ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst! Was ist los? Was stimmt denn nicht?«
Ich hörte ein unterdrücktes Schluchzen. »Wie hast du das tun können? Wie konntest du bloß?«
»Abbi«, sagte ich behutsam. »Bitte, ich hab absolut keine Ahnung, was du meinst. Jetzt hol mal tief Luft und sag mir, was ich getan haben soll.«
Vom anderen Ende kam ein kurzes Stöhnen. »Als ob du das nicht wüsstest! Geh mal deine E-Mails durch und sieh nach, ob du schon eine Antwort von Miss Harvey hast.«
Von der Schulleiterin? Das hier wurde immer seltsamer.
»Warum sollte ich eine Mail von Miss Harvey kriegen? Worauf in aller Welt sollte sie denn antworten?«
»Also jetzt schau deine Mails durch und erinnere dich mal. Ich kann gar nicht abwarten zu hören, was sie zu sagen hat.«
»Okay, okay. Lass mir eine Minute Zeit. Ich bin im Moment noch nicht eingeloggt.« Ich klemmte mir das Handy mit der Schulter ans Ohr, schaltete den Laptop ein und öffnete den E-Mail-Account. Das dauerte wie üblich schrecklich lang, und ich konnte Abbi im Hintergrund schniefen hören. »Gut, jetzt bin ich drin. Was genau soll ich suchen?« Während ich sprach, schaltete ich zu ›Gesendete Objekte‹ und fragte mich, was ich wohl finden würde. Dann sah ich es ziemlich in der Mitte der Liste, eine Mail mit
Abbi Hancock
in der Betreffleiste. Schnell machte ich die Mail auf, überflog den Inhalt und wurde immer entsetzter, je weiter ich las.
»Was in aller …? Abbi, was soll das denn? Wie ist das passiert?«
»Ach, hör doch auf mit dem Getue!«, fauchte sie. »Warum tust du mir das an? Du hast dafür gesorgt, dass ich rausgeschmissen werde!«
»Ich … Ich hab überhaupt nichts gemacht, Abbi. Ehrenwort!« Ich brauchte etwas Zeit, um da durchzublicken. »Hör mal, lass mir etwas Zeit, ja? Lass es mich wenigstens richtig lesen.«
Die E-Mail war lang. Sie war an Miss Harvey adressiert und enthielt eine umfassende Liste aller Schulvergehen, die Abbi im Lauf der Jahre begangen hatte. Für keines davon war sie bestraft worden, da sie hervorragend darin war, unschuldig zu erscheinen. Die Liste reichte von zerbrochenen Fensterscheiben,
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