Nur ein einziger Kuss, Mylord?
das freche Geschöpf sich so schamlos auf Miss Daventrys Schoß herumlümmelte, hatte er sich zum Narren gemacht.
Beim Mittagessen gratulierte Julian sich im Stillen zu der Wahl, die er für die Position der Gesellschafterin getroffen hatte. Serena erschien ihm so fröhlich wie seit Langem nicht mehr. Nicht dass er sie je als selbstmitleidig erlebt hätte, aber in der letzten Zeit war sie ihm weniger lebhaft vorgekommen.
Allein das war es wert gewesen, Miss Daventry in seine Dienste zu nehmen.
„Heute Nachmittag sollte Miss Daventry Lissy und Emma auf ihrem Spaziergang begleiten.“ Serena nippte an ihrem Kaffee. „Schließlich muss sie lernen, sich zurechtzufinden.“
„Heute Nachmittag wollten wir reiten, Mama“, schaltete Lissy sich ein. „Aber natürlich kann Miss Daventry uns begleiten. Oder etwa nicht, Julian?“
„Reiten? Miss Daventry? Aber natürlich.“ Julian sah auf und versuchte möglichst gleichgültig zu erscheinen. „Wenn sie möchte.“ Sofern dies eine Einladung hätte sein sollen, ließ sie einiges zu wünschen übrig, aber er mochte seinem unstatthaften Interesse an der fraglichen jungen Dame nicht weiter nachgehen.
Miss Daventry räusperte sich.
„Sie haben Einwände, Madam?“, fragte er und wappnete sich gegen das Unausweichliche. „Tragen Sie sie vor.“
Miss Daventry verengte die Augen. „Von Einwänden kann nicht wirklich die Rede sein, Mylord“, erklärte sie. „Höchstens von einer Feststellung.“
Musste sie so verdammt pedantisch sein?
„Nun?“ Der schnippische Ton, in dem er die Frage stellte, missfiel ihm gründlich, aber Miss Daventry schien nichts davon zu bemerken.
„Ich kann nicht reiten“, erklärte sie schlicht.
„Sie …? Aber jedermann kann doch reiten!“, stieß Lissy ungläubig hervor.
„Keineswegs, Miss Trentham“, erwiderte Miss Daventry sanft. „Ich habe mein ganzes Leben lang in der Stadt gewohnt, und wir konnten uns keine Pferde leisten.“
„Aber Harry – ich meine, Mr. Daventry – reitet. Seit seiner Jugend, wie er mir erzählte …“
„Das reicht, Lissy.“ Julian wusste nicht, wie er sich den Widerwillen, der in ihm hochkam, erklären sollte. Genau aus diesem Grund hatte er Miss Daventry doch angestellt – um seiner Schwester deutlich zu machen, wie tief die Kluft zwischen ihr und Harry Daventry war. Ihr zu zeigen, wie viel sie aufgeben würde.
Allerdings hatte es nie in seiner Absicht gelegen, Miss Daventry zu demütigen, ihr die Kluft zwischen Lissy und ihr unter die Nase zu reiben. Die Möglichkeit war ihm gar nicht in den Sinn gekommen. Ihm fiel auf, wie nachdenklich seine Schwester das abgetragene Kleid der Gouvernante musterte und sich womöglich selbst darin sah. Miss Daventry blieb gelassen.
Warum auch nicht, sagte er sich. Sie ist seit Jahren daran ge wöhnt, und ich zahle ihr schließlich fünfzig Pfund extra für die Un annehmlichkeit, ihre ärmlichen Verhältnisse unter die Nase gerieben zu bekommen .
Ein Teil von ihm empörte sich über diesen zynischen Gedankengang. Miss Daventry hatte ein wenig Vergnügen verdient, und sei es nur als Entschädigung. Außerdem würde es Lissy umso rascher auf die Sprünge helfen. Ja, genau. Das war es.
Er wandte sich Serena zu. Seine Stiefmutter hob amüsiert die Brauen.
„Wir könnten es mit Merlin versuchen“, schlug er vor und fragte sich, was zum Teufel sie so erheiternd fand.
Serena lächelte. „Der liebe Merlin. Ich bin sicher, ihm würde ein kleiner Ausflug gefallen. Ja, unbedingt, Julian. Eine gute Idee.“
Gut für wen? Irgendetwas an Serenas Lächeln ließ Julians Alarmglocken schrillen. Er sah Miss Daventry an. „Madam, wenn Sie mögen, können Sie Lady Braybrooks alten Wallach reiten. Er ist lammfromm und an eine Dame im Sattel gewöhnt.“
Sie setzte zur Widerrede an. Wie nicht anders zu erwarten.
„Danke, Sir, aber ich werde völlig zufrieden sein damit, hierzubleiben und Lady Braybrook Gesellschaft zu …“
„Nein, meine Liebe. Gehen Sie mit auf den Ausflug“, unterbrach Serena sie. „Ich fände es wünschenswert, wenn Sie reiten lernen. Lissy pflegt den Stallburschen jedes Mal davonzureiten, aber ich glaube, mit Ihnen würde sie nicht so unhöflich umgehen. Zumal sie um Ihre Ungeübtheit weiß.“ Lady Braybrook warf ihrer Tochter einen sprechenden Blick zu.
„Aber ich besitze kein Reitkleid“, sagte Christiana in einem letzten Versuch, ihrem Schicksal zu entgehen.
„Papperlapapp.“ Serena – Julian hätte sie segnen mögen dafür –
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