Nur ein einziger Kuss, Mylord?
nach ihm ab. Unter den Gästen in der Halle fand sie ihn nicht. Auch im Vorhof war er nirgends zu sehen, wie sie feststellte, nachdem sie vor die Tür getreten war. Und Alicia schien ebenfalls nicht da zu sein …
„Suchen Sie jemand, Miss Daventry?“ Matthew erschien an ihrer Seite.
„Ja. Meinen Bruder und … Meinen Bruder“, erwiderte sie so fest sie konnte.
„Oh. Er hat die Halle eben durch den hinteren Ausgang verlassen. Wahrscheinlich wollte er ein bisschen frische Luft schnappen und ist durch das Gartenzimmer gegangen. Hinter dem Haus hat man einfach mehr Ruhe.“
Zweifellos.
Christiana starrte auf die Tür zum Gartenzimmer. Das als Ort heimlicher Begegnungen bestens geeignet war. Ungestört, weit ab vom Trubel und der Öffentlichkeit des Festes. Kaum zu erwarten, dass sich irgendjemand hierhin verirrte. Sie betete zum Himmel, dass sich ihre Vermutung nur als Hirngespinst einer übel gesinnten, boshaften alten Jungfer erwies, die sich mit ihrem Verdacht gründlich irrte.
Sie holte tief Luft, stieß die Tür auf und trat in den Raum.
Weder Harry noch Alicia bemerkten sie. Sie waren zu vertieft in ihren Kuss. Erst als die Tür ins Schloss fiel, fuhren sie auseinander.
„Tut mir leid“, sagte Christiana kühl und wandte sich an Alicia. „Aber ich glaube, du solltest besser in die Halle zurückgehen, bevor man dein Verschwinden bemerkt.“
„Hol dich der Teufel, Christy“, fluchte Harry zwischen zu sammengebissenen Zähnen. „Du hast uns hinterherspioniert! Hinterherspioniert !“
„Und ihr habt Lord Braybrooks Vertrauen missbraucht“, erwiderte Christiana ungerührt. „Wenn jemand der Teufel holen soll, dann dich, Harry. Du behauptest, Alicia zu lieben, und verabredest dich heimlich mit ihr – in dem Wissen, dass du sie damit dem Risiko aussetzt, ihren Ruf zu ruinieren. Wenn du dir wirklich etwas aus ihr machen würdest, hättest du das niemals getan!“
Sie drehte sich zu Alicia um. „Und was dich anbelangt – hast du keinen Verstand?“
Das Mädchen wurde flammend rot. „Es geht Sie …“
„… nichts an?“, unterbrach Christiana sie spöttisch. Ihr war nicht mehr danach, ihre Worte auf die Goldwaage zu legen. „Sag mir nur eins, Alicia – dachtest du, deinen Bruder unter Druck setzen zu können, wenn er euch beide erwischt?“
Alicia setzte eine trotzige Miene auf, aber Christiana ließ sich davon nicht beeindrucken. „Mach dir klar, dass Harry nicht die Mittel hat, dich angemessen zu versorgen. Wovon wolltet ihr leben? Wo wolltet ihr leben? In seiner Unterkunft im Ort?“
Als sie keine Antwort erhielt, fuhr sie fort: „Ist dir nicht klar, dass Seine Lordschaft meinen Bruder eher zum Duell fordern würde, als dass er euch erlaubte, zu heiraten? Und du willst mir sagen, die Sache ginge mich nichts an?“
Alicia wurde blass. „Was haben Sie vor?“, wisperte sie unsicher. „Werden Sie es Julian erzählen?“
Christiana dachte nach. Nein, es wäre der denkbar unpassendste Moment. „Seine Lordschaft hat die Verlobung deiner Mutter verkündet. Du solltest bei ihr sein. Geh.“
Weiß wie ein Leichentuch kam das Mädchen der Aufforderung nach.
„Befehlsgewohnt wie immer, nicht wahr?“, stieß Harry hervor, als die Tür sich hinter Alicia geschlossen hatte. „Wahrhaftig, zur Hölle mit dir, Christy! Nur weil du selbst kalt bist wie ein Fisch …“
„Besser das als tot“, unterbrach sie ihn.
„Irgendwelche Anweisungen für mich?“, erkundigte er sich höhnisch.
„Nein. Aber dies ist nicht das erste Mal, dass du versuchst, Alicia heimlich zu treffen, habe ich recht? Neulich, als ich dir beim Zaunübertritt begegnete …“
Er zuckte die Achseln. „Na und? Es war ganz harmlos.“
Sie musterte ihn mit einem bohrenden Blick. „Harmlos? Alicia wäre ruiniert gewesen, wenn man euch erwischt hätte. Bist du dir überhaupt im Klaren darüber?“
„Zum Teufel, Christy. Was soll ich denn tun?“
Sie schüttelte bedächtig den Kopf. „Dich als Gentleman verhalten, der du doch sein möchtest?“
Harrys Adamsapfel bewegte sich auf und ab. „Du Miststück.“ Er spie die Worte regelrecht aus, dann stampfte er aus dem Raum. Christiana lehnte sich erschöpft gegen die Wand und stieß einen Seufzer aus. Ihr blieb keine Wahl. Sie musste Braybrook sagen, wie die Dinge standen. Mit dem Wissen über Harrys Herkunft ausgerüstet, würde er selbst Alicia überzeugen können, dass Mr. Daventry kein geeigneter Ehemann für sie war.
Tränen brannten in ihren Augen. Sie hatte
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