Nur ein einziger Kuss, Mylord?
Wangen begannen zu brennen. Es hatte sie ihre gesamte Selbstbeherrschung gekostet, sich nicht voller Begehren an ihn zu pressen.
Sie war seine Frau, nicht seine Mätresse. Von seiner Frau erwartete er, dass sie sich wie eine Dame verhielt. Wozu sie offenbar nicht in der Lage war. Vielleicht hatte er es bemerkt, auch ohne sie dort zu berühren, wo sie sich am meisten nach ihm gesehnt hatte, und fühlte sich von ihr abgestoßen.
Julian lag in seinem Bett und starrte die Decke an. Es erschien ihm wie eine verdiente Strafe, dass es ausgerechnet ihm, der so viele Frauen anderer Männer verführt hatte, nicht gelungen war, seine eigene Frau zu verführen. Selbst seine engsten Freunde würden Mühe haben, nicht darüber zu lachen.
Er versetzte seinem Kissen einen Hieb mit der Faust. Es würde eine lange Nacht werden und der morgige Tag noch länger. Am besten brachte er Christy nach Abbey House, dem kleinen Landgut, das er in Monmouthshire besaß. Es war ein ruhiger, abgeschiedener Ort in der Nähe eines Flusses, ideal für ein frisch verheiratetes Paar, das sich Hals über Kopf ineinander verliebt hatte. Und das war genau der Eindruck, den er nach außen vermitteln musste, um zu verhindern, dass die Gerüchteküche Christy als Goldgräberin erscheinen ließ, der es gelungen war, ihn in die Falle zu locken.
Aber was sollte er Christy sagen? Wie konnte er sie beruhigen, dass er seine ehelichen Rechte nicht unverzüglich einfordern würde? Und wie sollte es mit dieser Ehe überhaupt weitergehen? Er hatte stets eine Zweckehe gewollt – und es gab keinen Grund, warum er sie nicht haben sollte. Seine Ehefrau zu begehren war im höchsten Maße zweckmäßig. Solange er dem Begehren keine Macht über sich einräumte.
15. KAPITEL
Es war am darauffolgenden Abend, als Julian die ausgetretenen Stufen der Treppe in Abbey House hinaufstieg und die Hand vor die Kerzenflamme hielt, um sie vor Zugluft zu schützen. War er von Sinnen gewesen, das schäbige alte Landgut als Ziel seiner Hochzeitsreise zu wählen? Für ihn barg Abbey House Erinnerungen an die Sommer seiner Kindheit, als er mit den Blackhurst-Zwillingen und Serena hierhergekommen war und die Zeit damit verbracht hatte, zu angeln, auf Bäume zu klettern und mit den Ponys über das gesamte Anwesen zu reiten. So manche Nacht waren sie nicht einmal nach Hause gekommen. Hier hatte er sorglose Ferien verbracht, in denen alles, was zählte, der größte Fisch, der höchste erklommene Baum und die breiteste übersprungene Hecke gewesen waren, nur um am nächsten Tag zu erleben, wie ein anderer Sieger den ersehnten Rekord davontrug. Zeiten voller Unbekümmertheit und voller goldenem Sonnenschein …
Warum hatte er Christy hierhergebracht? Hätte er nicht auf Flitterwochen in Bath bestehen sollen? Sie der Öffentlichkeit als seine erwählte Braut präsentieren? Er war sich sicher, dass sie den Aufenthalt in der Stadt genossen hätte, wo sich ihr die Möglichkeit bot, einzukaufen, Bekanntschaften zu machen und Anerkennung als neue Lady Braybrook zu finden. Doch seinem diesbezüglichen Vorschlag war sie mit Zögern begegnet und hatte gesagt, sie bevorzuge einen ruhigeren Ort. Aus diesem Grund war er auf Abbey House gekommen. Aber wie sollte sie sich hier die Zeit vertreiben?
Und warum hatte er nicht dafür gesorgt, dass man ein zweites Schlafzimmer herrichtete? Mrs. Braxton, die Haushälterin von Abbey House, war die Tochter eines Farmers. Für sie war es undenkbar, dass Eheleute in getrennten Betten schliefen.
Auch sein Vater hatte das Schlafgemach stets mit Serena geteilt, wenn er hier gewesen war. Nein, es würde Mrs. Braxton niemals in den Sinn kommen, für ein neu vermähltes Paar zwei Zimmer herzurichten. Er erreichte den Korridor im ersten Stock. Wen würde er in dem Schlafzimmer vorfinden? Die beherrschte Frau, die ihm vor einer Stunde Gute Nacht gesagt hatte? Oder die ängstliche Braut von gestern Abend?
Als er den Raum betrat, sah er, dass sie sich für die Nacht zurechtgemacht hatte, jedoch noch nicht im Bett lag. Er schloss die Tür hinter sich und betrachtete sie, wie sie über eine Stickarbeit gebeugt im Sessel saß. Seine rechtmäßig angetraute Gattin. Noch nie zuvor hatte er sich klargemacht, wie sehr eine Frau Eigentum ihres Mannes war. In diesem Moment tat er es, und es erschien ihm absurd. Mehr noch, unrecht.
Christy war … Christy. Sie gehörte sich selbst.
„Störe ich dich?“
Ihre Überraschung war beinahe mit Händen greifbar. „Wie könnten Sie,
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