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Nur ein einziges Wort

Nur ein einziges Wort

Titel: Nur ein einziges Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Brast
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im Raum, der nicht ein Schauer über den Rücken läuft.
    Nach drei Minuten und vierzehn Sekunden ist alles vorbei. Doch der orkanartige Beifall für diesen Höhepunkt und das Kind mit der so wunderschönen Stimme will und will nicht enden.
    Endlich, der kleinen Stefanie bleibt ein Augenblick um sich mit einem höflichen Knicks und der dazugehörenden Verbeugung zu bedanken, bevor sie von den Sängerinnen und Sängern umringt und immer wieder umarmt wird.
    Tatjana steht wie versteinert mitten im Saal, sie ist weder in der Lage klar zu sehen noch zu denken. Obwohl heute Weihnachten ist und sie weiß, dass auch Stefanies Vater hier im Saal ist, hat sie auch Fabian bis jetzt nicht zu Gesicht bekommen. Immer noch sieht sie das engelhafte Gesicht Stefanies, ihre gefalteten dem Hi mmel zu gestreckten Hände, hört ihre glockenreine Stimme. Sie merkt in ihrer seelischen Aufgelöstheit nicht Mal, wie ihr die Tränen in Strömen die Wangen hinunterlaufen.
    Als nach minutenlangem Händeklatschen und Beifallsrufen wieder einigermaßen Ruhe eintritt, zwängt sich die schmächtige Kindergestalt Stefanies aus der auf der Bühne noch immer eng zusammengedrückten Chorg emeinschaft. Nach einigen wenigen Augenblicken hat sie Tatjana entdeckt, rennt auf sie zu und schmiegt sich mit der ihr eigenen Herzlich- und Vertrauensseligkeit an ihre ‚ Tante‘.
    Eine kleine Patschhand des Kindes haltend, als wolle sie sie nie mehr loslassen, kämpfen sich die Beiden zum Tisch der Königs durch.
    Noch bevor es irgendeinem aus der Familie König gelingt auch nur eine einzige Frage an einen der beiden A nkömmlinge zu stellen, wird es plötzlich so mucksmäuschenstill in dem Riesenraum, dass man ohne weiteres das Geräusch einer zu Boden fallenden Stecknadel wahrgenommen hätte.
    Beide Chöre haben wieder ihre vorherigen Plätze eingenommen und auf der vordersten Kante der Bühne steht Pfarrer Peter Weiler mit nach vorn ausgestreckten Händen, die mit sanften Bewegungen auf unbedingte Stille hinweisen möchten. Obgleich diese bereits eingesetzt hat und nicht mehr unterboten werden kann, deutet er noch einige Male mit seinem Zeigefinger auf seinen Lippen allen Anwesenden an, keinen Laut mehr von sich zu geben.
    Der Dirigent, Professor Johannes Wagner, hebt beide Arme und wie von einer magischen Kraft gelenkt, beginnt die gesamte Chorgemeinschaft ein summendes „Hmmmmm“, welches sich melodisch an die von Waldemar Schreiber angestimmten Flügeltöne anpasst.
    Wie von Zauberhand steht urplötzlich dort unterhalb der Bühne mitten im Saal die attraktive und stattliche Gestalt Fabian Bauers im eleganten Smoking und mit blütenweißem Frackhemd. Nur noch ein kurzer Blick zum Dirigenten und dann startet er mit einer der wohl zurzeit schönsten und klangvollsten Tenorstimme der Welt das „Ave Maria“ von Franz Schubert.
    Die kleine Stefanie hat sich mit beiden Händen fest an Tatjanas Kleid geklammert, zieht daran, dabei mit g edämpfter Stimme immer nur zwei Worte von sich gebend: „Mein Papa, mein Papa“. Tatjana ist zu einem Eisblock erstarrt. Sie ist nicht Mal mehr in der Lage, ihre unmittelbare Umgebung in sich aufzunehmen, geschweige denn das sich nur wenige Meter von ihr abspielende Geschehen zu verkraften. Wer ist dieser Mann, der praktisch vor ihr steht und mit der wohl schönsten und klarsten Tenorstimme, die sie je gehört hat, das „Ave Maria“ singt? Und wer ist das süße Wesen, das sich momentan voll mit ihren kleinen Händen an ihren Rockschoß klammert, mit ihren großen blauen Augen zu ihr aufschaut und immer wieder voll Begeisterung nur zwei Worte hervorbringt: „Mein Papa, mein Papa.“
    Tatjana möchte schreien, sie möchte weinen, doch alles in ihr scheint wie gelähmt. Wie fest gewurzelt bleibt sie auf der Stelle stehen. Keine Träne fließt aus ihren opalgrünen Augen, kein Laut entschlüpft ihrem halboffenen Mund. Dann ist wie im Traum aus einer Märchenwelt alles vorbei.
    Fabian Bauer bekommt selbstverständlich eine stehende Ovation nach der anderen. Der tosende Beifall, das Händeklatschen, die Begeisterungsrufe, das Alles will kein Ende nehmen. Es sieht fast so aus, als hätte er plöt zlich in dem Menschengewimmel nicht nur Tatjana, sondern auch sein Töchterlein Stefanie entdeckt. Fabian möchte auf die Beiden zugehen und es ist kaum zu glauben, wie ehrerbietig sich die Menschenmenge vor ihm in zwei Hälften teilt um ihm den Durchlass zu Tatjana und natürlich seiner Tochter zu gewähren.
    ‚Lieber Gott, lass mich

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