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Nur ein Gerücht

Titel: Nur ein Gerücht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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ausweichen konnte. »Udo ist tot. Es war sein Entschluss, seinem Leben ein Ende zu setzen, und das solltest du respektieren.«
    »Das war kein freier Entschluss«, sagte sie feindselig. »Was blieb ihm denn anderes übrig, nachdem sein Ruf zerstört worden war? Davon hätte er sich nie erholt. Es wäre immer etwas hängen geblieben. Jeder, der davon wusste, hätte ihm genauestens auf die Finger gesehen. Eine falsche Geste, und sei es nur seine Hand auf einer Schulter, hätte bestätigt, was sie zu wissen glaubten. Du weißt, wie schnell das geht.«
    Unangenehm berührt von einer unguten Ahnung sagte ich: »Nein, das weiß ich nicht.«
    »Nimm den Bungehof - wenn heute jemand erzählte, du würdest die Pferde vernachlässigen und quälen, hättest du morgen die erste Kündigung auf dem Tisch.«
    »Das glaube ich nicht, Melanie. Ein wenig treuer sind meine Leute dort schon. Außerdem wissen sie ganz genau, was sie für ihr Geld bekommen. Da reicht kein mal eben in die Welt gesetztes Gerücht.«

    »Was willst du damit sagen?«
    »Ich glaube nicht, dass man einem unbescholtenen Bürger einen Rufmord anhängen kann. Ein Gerücht hat nur dann wirklich eine Chance, wenn schon einmal etwas Ähnliches vorgefallen ist.«
    »Mein Gott, bist du naiv«, sagte sie mit zusammengekniffenen Augen, in denen für einen Augenblick Hass aufloderte. »Man kann jedem einen Rufmord anhängen, wenn man es geschickt anstellt, auch dir. Bei Udo haben sie sich allerdings etwas besonders Gemeines ausgedacht.«
    »Wer sind sie?«
    Ihre Schultern sackten nach vorne, während sie verzweifelt ihre Hände rang. »Wenn ich das wüsste. Udo hat versucht, dieses entsetzliche Gerücht zu seinem Ursprung zurückzuverfolgen, aber es ist ihm nicht gelungen.« Sie fuhr sich müde über die Augen. »Man hat seine Schülerinnen befragt. Keine hat auch nur die leiseste Andeutung in dieser Richtung gemacht, aber man glaubte, die hätten Angst vor ihm und würden deshalb nicht mit der Wahrheit herausrücken. Ist das nicht perfide?« Sekundenlang vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. »Und dann hat man ihn suspendiert. Das hat ihm den Rest gegeben.«

    »Was wurde ihm vorgeworfen?«, fragte ich, obwohl ich es längst ahnte.
    »Erst hieß es, er missbrauche seine Töchter. Und von da war es nur ein kleiner Schritt bis zum angeblichen Missbrauch seiner Schülerinnen. Kannst du dir vorstellen, was das für ihn bedeutete? Plötzlich schnitten ihn alle. Es hat sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Nirgends wurde er mehr eingeladen, bereits ausgesprochene Einladungen wurden zurückgezogen. Er wurde gemieden, als habe er die Pest.« Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Verstehst du jetzt, warum bei seiner Beerdigung so wenige Menschen waren? Für meine Eltern war es grauenvoll, erst verlieren sie ihren Sohn und dann auch noch ihren Glauben an die Menschen. Seine Frau ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Den Kindern blieb nichts anderes übrig, als die Schule zu wechseln, da die Mitschüler über sie hergefallen sind und schreckliche Dinge behauptet haben.« Ihre Erzählung beschwor unliebsame Erinnerungen herauf. Während ich versuchte, sie zurückzudrängen, schob sich ein Gedanke in den Vordergrund: Das Leben wählt manchmal seltsame Wege. Udos Kinder hatten das erleiden müssen, was er als Jugendlicher anderen mit einem Lächeln angetan hatte. »Hat er das noch miterlebt?«
    »Wieso interessiert dich das?«, wollte sie irritiert wissen. »Weil seinen Kindern genau das angetan wurde, was einmal Udos Lieblingsbeschäftigung war. Ich frage mich, ob ihm das aufgegangen ist. Ob es möglicherweise das war, was ihm so unerträglich erschien und ihn dazu getrieben hat, sich das Leben zu nehmen.« Obwohl das die Fähigkeit zur Selbstkritik vorausgesetzt hätte, und die sprach ich Udo vollends ab. Von einer Sekunde auf die andere erstarrte Melanie. »Udo ist noch nicht unter der Erde, und du wagst es, so ...«
    »Melanie, ich habe das Gespräch mit dir nicht gesucht. Du hast so lange insistiert, bis ich gekommen bin. Erwarte nicht von mir, dass ich in deine Schönfärberei einstimme.«

    »Was bist du für ein Mensch?«, fragte sie erschüttert.
    »Das kann ich dir sagen. Ich bin ein Mensch, der unter Udo unbeschreiblich gelitten hat. Und ich werde keinen Heiligen aus ihm machen, nur weil er tot ist Das war er nämlich ganz und gar nicht.«
    »Du glaubst, was über ihn geredet wurde?«
    »Ich rede nicht vom Hörensagen! Ich rede von dem, was ich selbst mit

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