Nur ein Gerücht
Zeit dafür mehr als reichlich bemessen ist.« Trotz ihres jammervollen Anblicks, an dem sich seit unserer letzten Begegnung nichts geändert hatte, brachte sie es fertig, mich herausfordernd anzusehen.
Ich hielt ihrem Blick stand. »Ich habe nicht vor, mich zu entschuldigen.«
»Dann verschwinde, ich habe zu tun.«
»Ich habe auch zu tun, Melanie, nur wird mir meine Arbeit zunehmend erschwert.«
»Geht es auch weniger rätselhaft?«, fragte sie ungeduldig. »Ich verdiene mein Geld nicht durchs Herumstehen.«
Ich brauchte einen Moment, um die richtigen Worte zu finden. »Auf dem Bungehof ist einiges vorgefallen. Zunächst waren es nur Kleinigkeiten, aber allmählich steigern sich die Vorkommnisse in bedrohlicher Weise.«
»Was habe ich damit zu tun?«
»Das würde ich gerne von dir wissen.«
Kühl kalkulierend sah sie mich an. »Bröckelt es langsam in der perfekten Fassade deines Etablissements?« Sie versuchte gar nicht erst, ihre Schadenfreude zu verbergen.
»Wenn du wissen möchtest, ob der gute Ruf des Bungehofs in Gefahr ist, muss ich leider sagen: ja.«
»Das tut mir aber Leid.« Ihr Gesichtsausdruck strafte ihre Worte ebenso Lügen wie ihr Tonfall, der an Häme kaum zu übertreffen war.
»Was habe ich dir getan, Melanie?«
»Du hast das Fass zum Überlaufen gebracht.«
Wie in Zeitlupe schüttelte ich den Kopf. »Ich kann nichts dafür, dass dein Bruder sich umgebracht hat.«
»Aber du kannst etwas dafür, wenn sein Andenken weiter beschmutzt wird. «
»Willst du deshalb im Gegenzug den Ruf des Bungehofs beschmutzen?«
»Mach dir nichts vor, Carla, dein Stall ist nicht besser als die anderen. Das redest du dir nur ein. Verständlich, wenn du mich fragst, jeder von uns wäre gerne etwas Besonderes, aber den wenigsten gelingt es.« Sie lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Wand.
Normalerweise weigerte ich mich strikt, von einem Familienmitglied auf das andere zu schließen, aber bei den Fellners schienen Gehässigkeit und Gemeinheit Familienerbe zu sein. »Seitdem du vor acht Tagen zum ersten Mal auf dem Bungehof aufgetaucht bist, geht es dort nicht mehr mit rechten Dingen zu.«
»Weißt du, was du mir da unterstellst?«
»Davon kannst du ausgehen.«
»Scher dich von meinem Hof!« Sie griff nach einer Mistgabel, die in der Nähe stand, und baute sich drohend vor mir auf.
»Melanie, wenn das so weitergeht, werde ich die Polizei einschalten.
Ihr böses Lachen hallte durch den Stall. »Diese Nieten haben noch nicht einmal herausgefunden, wer Udo auf dem Gewissen hat. Und jetzt raus mit dir!« Sie machte eine Bewegung, als wolle sie mir mit der Mistgabel in die Beine stechen.
Ich sprang einen Meter zurück. »Ich kann verstehen, dass sein Tod dich erschüttert hat ... «
»Im Gegensatz zu dir!«
»... aber lass nicht zu, dass dadurch dein Leben vergiftet wird.«
»Plötzlich so besorgt um mich, Carla Bunge?«, fragte sie boshaft. »Warum bist du nicht wenigstens ehrlich? Deine einzige Sorge gilt deinem verdammten Hof. An etwas anderes kannst du gar nicht denken.« Sie ließ die Spitzen der Mistgabel nur wenige Zentimeter vor meinen Füßen auf den Boden knallen. Erschrocken wich ich zurück. »Du erwartest, dass ich um Udo trauere, aber das kann ich nicht. Nicht nach all dem, was er mir angetan hat.«
»Das ist zwanzig Jahre her!« Sie spie mir die Worte ins Gesicht.
»Für mich nicht«, sagte ich leise. »Nichts, was dein Bruder gesagt oder getan hat, ist ohne Nachwirkungen geblieben.«
»Sei ihm doch dankbar, ohne ihn wärst du vielleicht immer noch so fett.«
Ich nahm ihren Blick in die Zange. »Ziehst du aus solchen Gemeinheiten eigentlich eine Befriedigung oder ist das deine Art, dich vor der Wahrheit zu schützen?«
»Vor welcher Wahrheit?«, fragte sie in einer Mischung aus Verzweiflung und Verachtung. »Etwa der Wahrheit, dass ein unbescholtener Mann von einem Tag auf den anderen von allen gemieden wurde, weil sich eine Lüge wie ein Lauffeuer verbreitet hat? Dass mein Bruder wegen haltloser Verleumdungen keine andere Möglichkeit sah, als sich umzubringen? Dass seine Frau unter dieser Last fast zusammenbricht? Oder meinst du die Wahrheit, dass es Menschen wie dich gibt, die am liebsten auf seinem Grab tanzen würden?« Ihre Stimme war immer lauter geworden. Die Mistgabel in Händen, sah sie mich hasserfüllt an.
»Ich meine die Wahrheit, dass Udo ein Mensch mit ein paar sehr unangenehmen Eigenschaften war. Er hat sich an der Qual Schwächerer
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