Nur ein Gerücht
genommen.«
»Seit wann fährst du Fahrrad?«
»Seitdem ich Kondition fürs Reiten brauche«, antwortete sie mit einem Grinsen. »Glaubst du, ich will mich bei dir blamieren?«
»Hast du dir endlich eine Reithose und Reitstiefel gekauft?«
»Habe ich.«
»Dann können wir ja vielleicht diese Woche noch anfangen. Ich werde gleich morgen in den Plan sehen, wann etwas frei ist.«
»Erst werde ich mir ein bisschen Kondition antrainieren. Glaubst du etwa, nur weil ich mit dieser Haarfarbe herumlaufe, bin ich völlig uneitel? Ich möchte eine gute Figur auf dem Pferd machen. Und wie sieht es denn aus, wenn mir bereits nach den ersten Galoppsprüngen die Zunge aus dem Hals hängt!«
Ich musste lachen. »Du wirst wie alle anderen ganz gemächlich im Schritttempo anfangen.«
»Wie langweilig.«
»Über Langeweile unterhalten wir uns, wenn du auf dem Pferd sitzt.«
Sie tat so, als sei sie beleidigt, konnte diese Attitüde jedoch nicht lange durchhalten. Der Sonnenuntergang war so außergewöhnlich farbintensiv, dass er uns beide gefangen nahm. Völlig gebannt sahen wir diesem feuerroten Schauspiel zu. »Jetzt habe ich endlich einen Namen für deine Haarfarbe«, sagte ich, als der rote Ball im Meer verschwunden war. »Sonnenuntergangsrot.
»Dir scheint es besser zu gehen. Was ist geschehen?«
Mein Seufzer konnte sich hören lassen. »Ich habe heute Morgen mit dem Amtstierarzt telefoniert und erfahren, dass der anonyme Anruf im Veterinäramt von einer Frau kam. Ob du es glaubst oder nicht - es war Melanie, die dahinter gesteckt hat. Also habe ich deinen Rat befolgt, bin zu ihr gefahren und habe mich bei ihr entschuldigt. Ich musste kräftig gegen meinen Widerwillen anschlucken, aber als ich mir vor Augen hielt, was ich zu verlieren habe, ging es eigentlich ganz einfach.« Ich atmete hörbar aus. »Ist es nicht unglaublich, dass zwei Menschen unabhängig voneinander von einem Tag auf den anderen den Bungehof attackiert haben? Und dann auch noch aus so unterschiedlichen Motiven! Darauf muss man erst einmal kommen. Wer von beiden für was verantwortlich ist, werde ich wahrscheinlich nie genau erfahren. Aber die Hauptsache ist schließlich, dass es vorbei ist. Ich frage mich nur, wie Melanie es geschafft hat, sich auf dem Bungehof zu bewegen, ohne dass sie einem von uns aufgefallen ist.«
»Warum hast du sie das nicht gefragt?«
Ich habe sie überhaupt nichts gefragt, ich habe mich nur entschuldigt. Sonst wären wahrscheinlich doch noch die Pferde mit mir durchgegangen, ich hätte ihr Vorwürfe gemacht und das Ganze wäre eskaliert. Mir geht es nur noch darum, dass auf dem Bungehof endlich wieder Ruhe einkehrt.«
Wir schwiegen beide und sahen zwei Möwen zu, die sich bekriegten.
»Ich bin froh, eine so kluge Freundin wie dich zu haben«, sagte ich nach einer Weile dankbar.
Sie sah mich von der Seite an. »Hattest du damals eigentlich keine Freundin, die dir beigestanden hat?«
»Für kurze Zeit schon.« Mein Blick folgte einem einsamen Strandspaziergänger.
»Erzähl!«
»Das ist so lange her, Susanne«, wehrte ich ab.
»Na, komm schon, wie war sie?«
»Wie Nadine war?« Ich holte tief Luft und ließ sie hörbar entweichen. »Ungewöhnlich ... jedenfalls für uns Kleinstadtjugendliche. Sie war von Kopf bis Fuß durchgestylt und immer perfekt geschminkt. Sie kam kurz nachdem sich die Homosexualität meines Vaters herumgesprochen hatte. Da hatte ich schon jegliches Selbstwertgefühl verloren, schlich stets als Letzte in die Klasse und rannte als Erste wieder hinaus. Es war immer wie ein Wettlauf. War ich schneller als die Hänseleien, dann war es ein guter Tag.« Mit der Handfläche strich ich über einen Stein und spürte die Kälte. »Nadine war vom ersten Tag an in der Klasse ebenso eine Außenseiterin wie ich, und das lag nicht allein daran, dass sie mit ihrer modebewussten Aufmachung aus dem Rahmen fiel. Sie hätte auch als graue Maus keine Chance auf eine andere Rolle gehabt. Die Gerüchte waren ihr vorausgeeilt. Während eines Urlaubs hatte sich ihre Mutter, die Theaterschauspielerin in Hamburg war, in einen Plöner Hotelier verliebt. Und das so heftig, dass sie ihren Mann, Nadines Vater, verließ und mit ihrer Tochter nach Plön zog. Nadines Verhängnis bestand darin, dass dieser Hotelier eine Frau und ein Zwillingspärchen in Nadines Alter hatte, die er wegen ihrer Mutter verließ. Es muss eine sehr unschöne Trennung gewesen sein, die die Gemüter gegen ihn aufbrachte. Das bekam vor allem Nadine zu
Weitere Kostenlose Bücher