Nur ein Gerücht
bestens informiert. Ich verstehe nur nicht, was dein Gerede über Narrenfreiheit und bevorzugte Behandlung sollte.«
»Wenn ich mich recht entsinne, dann hat Oskar dich mehr als einmal getreten, gebissen und in den Dreck geworfen. Das hast du ihm alles großherzig verziehen. Aber die Homosexualität deines Vaters bestrafst du mit einen? zwanzig Jahre währenden Bann.«
»Der Vergleich hinkt, Oskar ist nur seinem Instinkt gefolgt und mein Vater ...«
»... seiner Natur«, vervollständigte er meinen Satz.
»Ein Mensch unterscheidet sich von einem Tier durch die Fähigkeit zu denken, durch die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden.«
»Seit wann kann man sich für oder gegen Homosexualität entscheiden?«
»Das meine ich nicht, und das weißt du genau. Ich meine, dass man sich entscheiden kann, was man daraus macht. Man hat es in der Hand, wie sehr die Mitmenschen darunter leiden.«
»In einer Situation wie eurer hätte es keinen Königsweg gegeben. So oder so hätten alle Beteiligten gelitten. Oder glaubst du allen Ernstes, dass alles gut gewesen wäre, wenn er sich nicht zu seiner Neigung bekannt hätte?«
»Nein«, antwortete ich leise, »das glaube ich schon lange nicht mehr.«
Er schien meine Antwort gar nicht gehört zu haben. »Ich glaube, dass du einen zu hohen Anspruch an die Menschen stellst, speziell an Männer. Du erwartest Unfehlbarkeit, aber die gibt es nicht.« Er ließ mich keine Sekunde aus den Augen. »Ich habe dein seltsames Verhältnis zu Männern nie verstanden, bis heute. Du hast Angst, so wie deine Mutter enttäuscht zu werden. Du meinst, auf Männer sei kein Verlass, und glaubst, sie würden dir etwas vorspielen, was nicht der Realität entspricht. Deshalb belässt du es bei diesen belanglosen Affären.«
»Du bist eifersüchtig.« Ich war der Kellnerin dankbar für die Unterbrechung, als sie vor jeden von uns eine Tasse Cappuccino stellte.
Christian würdigte seine Tasse keines Blickes. »Nein, Carla, eifersüchtig wäre ich, wenn ich glaubte, du würdest mit diesen Männern etwas erleben, was ich gerne mit dir erleben würde.«
Ich sah dem Zucker dabei zu, wie er in den Milchschaum sank.
»Ich bin der festen Überzeugung, dass keiner dieser Männer dir je nahe gekommen ist. Du meidest Nähe wie der Teufel das Weihwasser.«
Wie in Zeitlupe sah ich zu ihm auf. »Es tut weh, mit dem Teufel verglichen zu werden.«
»Es tut ebenso weh, dabei zuzusehen, wie du deine Gefühle unter Verschluss hältst. Ganz besonders, da ich weiß, dass ich sie auslöse.«
In diesem Moment war ich froh, dass mein Herzklopfen nicht zu hören war. Mein Versuch, den Milchschaum aus der Tasse zu löffeln, scheiterte an meiner zitternden Hand. Ich legte den Löffel zurück auf die Untertasse. »Und was löst du bei Nadine Köster aus?«, fragte ich bissig.
Sein Lachen hatte etwas Befreiendes. »Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Sie ist mir ein Rätsel.«
»Bist du in sie verliebt?«
»Hatten wir diese Frage nicht schon einmal?«
»Die Frage schon, die Antwort bist du mir schuldig geblieben.«
Er zog amüsiert die Augenbrauen hoch. Anstatt mir zu antworten, löffelte er in aller Seelenruhe erst seinen und dann meinen Milchschaum aus. »Ich finde, sie ist eine sehr interessante Frau. «
»Das klingt ja nicht gerade nach heißer Liebe«, meinte ich muffig. »Findest du das fair ihr gegenüber?«
»Sie weiß, worauf sie sich einlässt.«
»Weiß sie das wirklich?«
Mit einem Kopfschütteln beugte er sich ganz nah zu mir. »Reicht es nicht, dass du dich vor mir in Acht nimmst? Meinst du tatsächlich, du müsstest jetzt auch andere Frauen vor mir schützen?«
»Nadine ist nicht einfach irgendeine andere Frau, ich kenne sie von früher. Wir sind eine Zeit lang zusammen zur Schule gegangen. «
»Davon hat sie gar nichts gesagt.« Seine Überraschung war offensichtlich.
»Wir haben uns seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen und sind uns dann zufällig auf dem Bungehof über den Weg gelaufen.«
»Apropos Bungehof, hast du die Sache mit Hans Pattberg klären können?«
Ich nickte. »Weißt du übrigens, was hinter seiner Kündigung steckte? Das Angebot seines Lebens, wie er es nennt. Ein Unternehmen will ihm seinen gesamten Besitz abkaufen, um dort ein Wellness-Hotel zu errichten.«
»Die Wellbod AG?«
»Du kennst die?«
»Kennen ist zu viel gesagt. Ich habe nur gehört, dass das Unternehmen an einem Standort hier in der Gegend interessiert ist. Ich wusste allerdings nicht, dass es dabei um den
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