Nur ein Hauch von dir
wurde. Der Stein war oval, etwa so groß wie meine Daumenspitze, und wurde von winzigen Silberschnüren gehalten, die sich über und um ihn bogen und wanden. Die Schnüre liefen an beiden Seiten zusammen und bildeten den übrigen Reif. Die Schnüre waren in jedem Detail verblüffend. Schnell stöberte ich in meiner Schreibtischschublade herum und fand die alte Lupe, die Mum vor Jahren bei Josh beschlagnahmt hatte, damit er und seine Freunde nicht dauernd rumzündelten. Ich hatte die Lupe an mich genommen, weil ich dachte, sie wäre nützlich, um Ohrringe zu reparieren.
Ich richtete das Licht aus, um genauer sehen zu können, und peilte durch die Linse auf die Fassung. Jede Silberschnur war perfekt und kunstvoll gearbeitet, die einzelnen Stränge wanden sich umeinander wie bei einem Tau im Miniaturformat, und jede unterschied sich nur in winzigen Feinheiten von den anderen. Als ich den Reif umdrehte, konnte ich sehen, dass der Stein lediglich von den Schnüren gehalten wurde, die ihm aber erlaubten, sich ein bisschen zu drehen.
An den Kanten war der Reif seltsam rau. Es sah aus, als wären die Schnüre zusammengeschmiedet worden, die Hammerschläge waren als winzige Grübchen in der Oberfläche zu erkennen. Wer stellt ein Schmuckstück her, das dermaßen fein gearbeitet und zugleich beinahe rustikal ist? Das ergab keinen Sinn.
Jetzt, wo das Silber sauber war, schimmerte der Stein noch geheimnisvoller. Dass er sich ganz leicht hin und her bewegte, schien sein inneres Feuer zu steigern, und die sagenhaften Farben leuchteten im Licht. Auch wenn er hauptsächlich blau war, gab es doch Spuren von strahlendem Grün, und alles war übersät mit roten, rosa und goldenen Tupfen.
Auf der Innenseite des Reifs meinte ich erst eine Gravur zu erkennen, doch je genauer ich hinsah, desto mehr wirkte es wie eine kleine Naht im Metall, wo die Schnüre zusammengeschweißt waren. Grace hatte recht gehabt: Es gab keinen Silberstempel und auch keinen Hinweis darauf, wer den Armreif gemacht oder besessen hatte.
Ich legte den Reif vorsichtig hin und überlegte. Was war die Verbindung zwischen diesem harmlosen Schmuckstück und dem mysteriösen Jungen? Ich dachte an sein Gesicht, das anfangs fast ärgerlich ausgesehen hatte und dann so zufrieden. Wo kam er her? Ich hatte so viele Fragen. Ich seufzte und machte mich langsam bettfertig. Der Armreif mochte jetzt sauber sein, doch ich selbst hatte mich ganz schön eingesaut – Silberpolitur und schwarze Schmiere auf Händen und Unterarmen, und auch mein Shirt hatte einiges abbekommen. Ich schnappte mir meinen Schlafanzug und steuerte das Badezimmer an, wo ich das Shirt ganz unten im Wäschekorb versteckte.
Am nächsten Morgen streifte ich mir nach dem Duschen den Reif über und spähte hoffnungsvoll in die Tiefen meines Spiegels. Ich sah nichts, aber ich spürte, wie mein Herz bei dem Gedanken schneller schlug, ihn in ein paar Stunden wiederzusehen.
An diesem Tag hatte ich Fahrstunde, und deswegen fuhr ich mit Josh im Mini und nicht mit dem Bus zur Schule. Normalerweise hatte ich während der Mittagspause Fahrunterricht, wenn auf den Straßen etwas weniger Betrieb ist. Auf dem Weg zur Schule und zurück konnte ich nicht üben, weil Josh seinen Führerschein noch nicht lange genug hatte, um mich zu beaufsichtigen. Er wäre begeistert davon gewesen, mich ganz offiziell herumkommandieren zu dürfen, aber ich war ganz erleichtert. Josh liebte es, an all den Mädels vorbeizufahren, um den Mini auf unserem Parkplatz zu parken, und dann lässig zu seiner Schule hinüberzuschlendern und dabei den Autoschlüssel von seinen langen Fingern baumeln zu lassen. Nur wenige von seinen Klassenkameraden hatten einen eigenen Wagen, und so half es seinem Image tatsächlich, auch wenn unser Mini echt kein besonderes Auto war. Es war alt, verbeult und vanillesoßengelb. Mum weigerte sich, uns irgendetwas Teuereres zu kaufen, und die Versicherung kostete schon mehr, als das Auto überhaupt wert war. Jedenfalls gab ich mir die größte Mühe, die Vanillesoßenfarbe mit verrückten abstrakten Graffiti in beißenden Farben zu überdecken, was den netten Nebeneffekt hatte, Josh auf die Palme zu bringen.
Eigentlich sollten wir uns den Wagen teilen, doch bis ich die Prüfung bestanden hatte, war ich von Josh und seinem Machogehabe abhängig. Er hatte seine Fahrprüfung gleich beim ersten Mal bestanden, aber mein Unterricht lief nicht so gut. Theoretisch war ich gar nicht so schlecht, doch ich hatte die dumme
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