Nur ein Hauch von dir
Allerdings konnte ich es mir nicht verkneifen, vorher noch schnell ins Bad zu flitzen und zu überprüfen, ob ich halbwegs vorzeigbar aussah.
Dann saß ich mit dem Spiegel an meinem Tisch, die Finger fest um den Reif an meinem Handgelenk gelegt. Nichts passierte. Ich zog den Armreif ab, rieb ihn behutsam und wartete, dass etwas passierte. Nichts. Keine Bewegung und auch keine Gestalt hinter mir. Ich kämpfte mit meiner Enttäuschung, denn ich wollte nicht, dass er mich so verzweifelt sah, wenn er plötzlich auftauchte, doch so fühlte ich mich.
Ich musste fast eine Stunde so dagesessen haben. Wenn er bloß ein Produkt meiner Phantasie wäre, so überlegte ich, wäre ich doch in der Lage, ihn auf der Stelle zu sehen. Doch wenn er real war, wenn das auf irgendeine verrückte Art möglich war, dann wollte er mich offensichtlich gerade nicht sehen, oder er wäre hier bei mir.
Plötzlich fiel mir ein, dass es schon ziemlich spät gewesen war, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Vielleicht hatte er mit
morgen
von diesem Zeitpunkt an vierundzwanzig Stunden gemeint? Ich wusste, dass ich mich an einen Strohhalm klammerte, doch ich hoffte einfach weiter. Ich sah mich nach etwas um, das in der Zwischenzeit ablenken konnte. Der Armreif! Es musste doch irgendwas im Internet geben, das mir weiterhelfen konnte.
Ich stellte meinen Laptop auf den Tisch und legte den Reif auf die Tischplatte. Im Licht der Halogenlampe leuchtete er verlockend. Ich gab die Stichworte
alt Opal Silberarmreif
in die Suchmaschine ein, doch das ergab nichts Brauchbares. Ich drehte den Reif in der Hand, um nach den seltsamen Schatten auf der Innenseite zu sehen, und als ich die Stelle gefunden hatte, kam es mir erneut, und nur für den Bruchteil einer Sekunde, so vor, als wären dort Worte eingraviert. Überrascht sah ich noch einmal hin und hätte schwören können, dass sie in diesem Moment in dem gehämmerten Metall verschwammen. Vielleicht brauchte ich jetzt doch eine Brille. Ich rieb mir die Augen und sah wieder hin. Nichts.
Diese Suche war schwieriger als gedacht. Vielleicht waren Schmuckantiquariate der bessere Weg. Ich rief ein paar Seiten auf und fand mich in einer Welt ziemlich merkwürdiger Krimskramsseiten wieder, die größtenteils auch noch schlecht gemacht waren. Es würde Stunden brauchen, dieser Spur nachzugehen. Einige der gezeigten Armreife waren schön, aber keiner von ihnen ähnelte auch nur im entferntesten meinem Reif. Was aber klar wurde: Ein Armreif mit einem so großen Opal, wenn es denn einer war, und diesem Silbergewicht war sehr viel wert.
Wie war er im Fluss gelandet? Der, der ihn an einen Stein gebunden und reingeworfen hatte, hatte offenkundig nicht gewollt, dass er so schnell wieder gefunden würde.
Ich seufzte. Ich war keinen Schritt weitergekommen und stellte mir nur immer mehr Fragen. Immerhin hatte ich erfolgreich eine ganze Menge Zeit hinter mich gebracht. Es war jetzt ungefähr so spät wie gestern, als ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Ich schob mir den Reif wieder übers Handgelenk, wo er sich so angenehm und richtig anfühlte. Ich schloss für einen Augenblick die Augen und entspannte mich, bevor ich in den Spiegel blickte.
Da war nichts.
Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, überschwemmte mich niederschmetternde Enttäuschung. Sie kam wie eine Welle, nahm mir die Luft und ließ mich atemlos zurück. Er hatte versprochen zu kommen, aber er war nicht hier. Ich schloss die Augen und versuchte, meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Wie war es bloß dazu gekommen, dass mir das so viel ausmachte? Er war ja nicht einmal wirklich! So etwas hatte ich noch nie erlebt.
In der nächsten Stunde saß ich da und konnte an nichts anderes denken als an sein wunderschönes Gesicht mit den durchdringenden blauen Augen und den vollen Lippen. Ich versuchte, nicht zu viel an diese wunderschönen Lippen zu denken, daran, wie es sich anfühlen würde, wenn sie sich sanft auf meine drücken würden. Doch die Erinnerung an sein Gesicht blieb leicht verschwommen. Er war nicht da, und ich hatte keine Möglichkeit herauszubekommen, woran das lag.
In meinen Augen prickelten Tränen, während ich mich bemühte, mit dem Verlust von etwas fertig zu werden, das ich nie besessen hatte.
5 Date
Beim Aufwachen am nächsten Morgen fühlte ich mich einen Moment lang ganz unbeschwert – doch dann überkam mich die Erinnerung an den letzten Abend. Er war nicht gekommen. Er hatte es versprochen und mich dann im Stich
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