Nur ein Hauch von dir
ich mich in Bewegung. Grace’ Anrufe waren erst ganz normal, dann klang sie immer besorgter. Josh hatte eine Nachricht hinterlassen, als ich nicht im Bus aufgetaucht war, und meine Mutter, als er ohne mich nach Hause gekommen war.
Um nicht reden zu müssen, schickte ich allen eine SMS , ich wäre in rund einer Stunde zu Hause. Ich brauchte noch etwas mehr Zeit.
Langsam ging ich durch den Park auf den königlichen Palast zu. Um die Zeit waren schon alle Türen geschlossen, aber man konnte durch die Höfe schlendern. Die alten Gebäude ragten geschichtsträchtig über mir auf. Wieder einmal jagten meine Gedanken zu den Versunkenen. Ich fragte mich, ob sie auch hier gewesen waren und Erinnerungen der königlichen Familie genommen hatten? Ich hatte den Palast immer gemocht, er war so voller Geheimnisse und Möglichkeiten, doch heute wirkte er nur traurig.
Vom Palast aus ging ich zur Themse hinunter. Hier war der Fluss nicht mehr Ebbe und Flut unterworfen wie bei Twickenham, doch sie war auch hier sehr breit, und angeblich gab es bösartige Strömungen. Ich starrte in das Wasser und wünschte, ich hätte das Amulett nie gefunden. Jetzt konnte ich gut verstehen, warum jemand es an einen Stein gebunden und versenkt hatte. Das sollte ich auch tun – oder es vielleicht lieber mit einem Stein zertrümmern.
Ich schaute mich suchend um, doch dieser Weg war viel zu gut gepflegt, als dass es hier solche Steine geben konnte, wie ich sie suchte. Trotzdem öffnete ich meinen Rucksack. Da lag das Amulett, schön und unschuldig. In dem Stein gab es keine Spur von Bewegung. Es war, als wäre das Feuer im Stein zur selben Zeit erloschen wie das Feuer in Callums Augen.
Es wäre so leicht, ihn zurückzuholen. Ich könnte das Feuer wieder tanzen lassen. Der Gedanke war da, bevor meine Vernunft ihn erdrücken konnte. Wieder spürte ich Tränen in mir aufsteigen. Ich wusste, dass es das Beste wäre, das Amulett sofort in den Fluss zu werfen. Aber was war, wenn ich mich geirrt hatte? Wenn hier ein furchtbares Missverständnis vorlag? Ich konnte es nicht über mich bringen, meine einzige Verbindung zu Callum wegzuwerfen. In mir tobte eine Schlacht.
Schließlich kam ich zu einer Entscheidung: Das Amulett musste weg. Es musste einfach weg. Es war schwer genug, um auch ohne einen Stein zu versinken. Ich musste es nur so weit wie möglich in den Fluss hinausschleudern.
Mit Hilfe eines Stiftes angelte ich den Armreif heraus, und als ich mit dem Arm zum Wurf ausholte, glitt er am Bleistift herab und über meine Finger.
Die Stimme in meinem Kopf kam plötzlich und laut, ohne nachzudenken, presste ich mir die Hände auf die Ohren, und ohne den Armreif loszulassen.
Ich konnte Callums wunderbare Stimme hören, jetzt rau vor Kummer: »Tu das nicht! Bitte …« die Erinnerung an sein schönes Gesicht, den zärtlichen Mund und die prickelnde Berührung, zu wissen, dass er mir nahe war, all das verschwor sich und kippte meinen Entschluss. Ich konnte das Amulett nicht ins Wasser werfen.
Doch ihn zu hören, konnte ich auch nicht ertragen. Ich ließ das Amulett wieder in meinen Rucksack fallen, und es wurde wieder still in meinem Kopf. Der Schmerz in seiner Stimme war kaum auszuhalten gewesen. Fast konnte ich glauben, dass er es auch so meinte, dass er mich liebte, doch die bohrende Erinnerung an sein Ausweichen und die Panik in seinem Blick, als ich ihn überrumpelt hatte, sagten mir, dass er ein Lügner war und ich ihn vergessen musste.
Ich trat vom Ufer zurück und versuchte, ruhig zu bleiben. Leute spazierten mit ihren Hunden vorbei, ohne mein inneres Chaos wahrzunehmen. Ich hatte das Bedürfnis zu laufen, und so drehte ich mich um und ging langsam zurück. Bis nach Hause war es noch ein ganzes Stück, doch wenn ich mich beeilte, konnte ich zurück sein, bevor sie sich wieder Sorgen machten.
Als ich in meinem Rucksack nach dem iPod kramte, passte ich auf, das Amulett nicht zu berühren. Dann ließ ich laute Musik in meinen Kopf strömen, und ich weigerte mich, weiter nachzudenken.
Völlig erschöpft kam ich zu Hause an. Da ich mich nicht endlosen Fragen stellen wollte, musste ich meinen Eltern irgendwas erzählen, das sie beruhigte.
»Wo bist du denn gewesen, mein Schatz?«, fragte Mum. »Wir haben uns allmählich Sorgen gemacht.«
»Mir geht es gut«, log ich. »Ich hatte nur Streit mit einem Mädchen aus meiner Klasse und brauchte etwas Abstand. Da bin ich in Hampton Court spazieren gegangen.«
Sie sah mich prüfend an. »Magst du
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