Nur ein Katzensprung
in den Sporthallen zu verbringen, mit lauter schwitzenden Gestalten, das hat mich fast verrückt gemacht.“
„Glauben Sie, dass Kelvin besonderes Talent hat?“
„Talent? Wenn es nach Angela geht, ist er ein Wunderkind.“
„Trotzdem besucht Ihr Sohn Sie regelmäßig?“
„So ist es vereinbart. Ich gebe mir jedes Mal Mühe, etwas mit ihm zu unternehmen, was ihm Freude macht.“
„Das klappt nicht?“
„Es wird immer schwieriger. Letztes Mal habe ich ihn am Freitag gegen Abend abgeholt. Er war zu einem Kindergeburtstag eingeladen. Die Familie hatte einen Clown engagiert. Als ich ankam, hatte er die Kids gerade in eine wirklich witzige Geschichte verwickelt. Alle amüsierten sich prächtig. Nur Kelvin stand an der Schrankwand, mit dem Rücken zum Geschehen. Ich wunderte mich. Erst als ich näher herankam, sah ich, dass ein Teil des Schrankes verspiegelt war und er sich selbst dabei zuschaute, wie er seinen Bizeps bewegte.“
Jänicke schien heute noch erschrocken, wenn er daran dachte. Hilflos hielt er die Hände in die Luft. „Das ist doch nicht normal, oder?“
Weder Kofi noch Stefan wussten, was sie dazu sagen sollten.
„Ich habe ihn später gefragt, ob ihm der Clown nicht gefallen habe. Er hat mich angesehen, als wäre ich ein besonders ekliges Insekt und hat gesagt: „Kinderkram. Kinderkram, ich bitte Sie, er ist sieben.“
„Hat er die Späße nicht verstanden?“
„Ich habe versucht, mit ihm darüber zu sprechen. Er hat mich angeschrien, das wäre alles Zeitverschwendung.“
„Haben Sie irgendeine Idee oder einen Verdacht, wohin Kelvin gegangen sein könnte?“
Der Mann schüttelte bedächtig den Kopf. Seine Augen füllten sich mit Tränen. „Kelvin war es immer wichtig, seine Mutter glücklich zu machen. Er täte nichts, was ihr weh tun könnte. Später einmal, wenn er in die Pubertät kommt, wenn er sich abgrenzen, abnabeln will, dann wird es Probleme geben. Aber bis dahin ist noch viel Zeit.“ Er unterbrach sich, knetete seine Finger und sah Kofi dann fragend an. „Er wird nicht in die Pubertät kommen, oder? Sie haben keine Hoffnung mehr, ihn zu finden.“
„So würde ich das nicht formulieren“, antwortete Ollner. „Es trifft zu, dass wir noch keine verwertbaren Spuren haben. Das bedeutet jedoch gleichzeitig, dass wir keine schlechten Nachrichten weitergeben müssen. Es liegt auch keine Lösegeldforderung vor. Daher ist alles noch offen.“
Rainer Jänicke war aufgestanden, wandte ihnen den Rücken zu und schaute aus dem Fenster. „Das glauben Sie doch selber nicht. Kelvin wird seit bald 48 Stunden vermisst. Was meinen Sie, ist da passiert? Hat ihn jemand zu einer Party eingeladen?“ Er drehte sich um. „Wissen Sie, was ich für das Wahrscheinlichste halte? Irgendein perverser Lustmolch hat ihn in sein Auto gezerrt, hat sich an ihm vergangen und ihn dann in einem Wald, einer Höhle oder einem Graben verscharrt. Und jetzt gehen Sie bitte.“
Kofi stand auf. „Wir danken Ihnen für Ihre Informationen. Wir tun, was wir können.“
Ollner ergänzte: „Wir halten Sie auf dem Laufenden.“
Schweigend stiegen Sie wieder in ihren Wagen ein.
Kofi gab sich große Mühe, an etwas Anderes zu denken, es gelang ihm nicht. Egal, ob er die Augen offen oder geschlossen hielt, er sah den kleinen Körper vor sich, den sie gestern gefunden hatten, den Körper, der nicht Kelvin war. Noch nicht?
19
Irene schaute prüfend auf die Uhr. Sie hatte noch eine gute Stunde Zeit, bevor sie Kim aus der Schule abholen musste. Sie saß vor ihrem Rechner und wusste nicht, was sie tun sollte. Neue Termine? Weiter arbeiten, als sei nichts passiert.
Sie stand auf und ging in das Besprechungszimmer. Dort lagen die Zeichnungen der Lagerhalle, wegen der die Beckers sich noch einmal mit ihr treffen wollten. Sorgfältig maß sie die Abstände zwischen den Stützen aus und notierte sich die Quadratmeterzahl der Räume dazwischen.
Stella musste eine Weile hinter ihr gestanden haben, als Irene sie bemerkte.
„Na, immer fleißig.“
Irene zuckte mit den Schultern. „Es muss doch weitergehen, wenn Leon wiederkommt …“
„Falls er wiederkommt, Schätzchen.“ Stella setzte sich auf die Tischkante und zerknüllte ein Stück von Irenes Zeichnung unter ihrem Hintern.
„Natürlich kommt er wieder.“
„Das glaubst du selber nicht.“ Sie grinste hämisch. „Jedenfalls sind deine Tage hier gezählt, wenn er nicht wiederkommt.“
Irene spürte, wie ihr schwindelig wurde. Klar, wenn Leon nicht wieder
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