Nur ein Katzensprung
Eindringling sie nicht schon von weitem schnaufen hörte.
Sie ertappte sich dabei, dass sie die Hände ineinander verkrampft hatte und gebetsmühlenartig wiederholte. „Lass es Leon sein. Lass es Leon sein.“ Am besten ein sehr, sehr müder Leon, der ganz dringend ins Bett musste, ohne vorher in sein ramponiertes Wohnzimmer zu schauen.
Die Schritte kamen näher.
Irene fühlte, dass sie gleich niesen musste.
Die Tür wurde aufgestoßen.
Jemand pfiff durch die Zähne.
Irene nieste wie eine wütende Hornisse.
„Hände hoch und herauskommen.“ Die Stimme klang vertraut. Trotzdem zitterte Irene wie ein Spinnennetz im Sommerwind.
„Ich zähle bis drei. Eins, …“
„Ich kann nicht“, piepste Irene.
Schritte kamen auf sie zu. Sie schielte über den Rand des Sofas und sah eine Pistole an einem ausgestreckten Arm auf sich zukommen. Schnell schloss sie die Augen.
Jetzt stand der Kerl direkt vor dem Sofa. Die Waffe klickte. Irene kniff die Augen noch fester zusammen.
Der Typ lachte, dann fragte er: „Warum können Sie nicht herauskommen?“
„Ich hänge fest“, antwortete Irene immer noch mit geschlossenen Augen. „Bitte tun Sie mir nichts.“
„Machen Sie keine Fisimatenten und kommen Sie da raus, damit wir normal miteinander reden können.“
Jetzt wagte Irene es, mit einem Auge nach dem Mann zu schielen. „Ollner!“ Sie starrte ihn an. „Warum erschrecken Sie mich so?“
„Warum verkriechen Sie sich in fremden Wohnungen hinter dem Sofa?“
„Sie haben mir Angst gemacht.“
„Wieso? Sie wussten doch gar nicht, wer ich bin.“
„Eben.“ Sie stöhnte. „Nun helfen Sie mir doch.“
Ollner zog am Sofa, um besser sehen zu können. Das reichte aus, dass Irene sich befreien konnte. Er ergriff ihre Hand und half ihr auf. „Waren Sie das?“, fragte er mit einer Geste, die das Tohuwabohu umspannte.
„Nein, selbstverständlich nicht.“
„Wer dann?“
„Kann ich hellsehen?“
Er überging ihre Provokation. „Was wollten Sie hier?“
„Ich wollte gucken, ob Leon vielleicht hier ist oder ob er eine Nachricht oder eine andere Spur hinterlassen hat.“
„Hat er?“
„Ich habe nichts gefunden, nur …“ Sie hielt inne und biss sich auf die Unterlippe.
„Nur?“
„Ach nichts.“
„Nichts wie gar nichts oder nichts wie ein bisschen was, ist aber nicht so wichtig oder nichts wie geht Sie nichts an?“
„Nichts nichts.“
„Das glaube ich Ihnen nicht.“
Irene betrachtete sein kantiges Gesicht und dachte, mit einem Dreitagebart und einer coolen Lederjacke würde er jedem Actionhelden Konkurrenz machen können. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und fragte sich, wie sie wohl aussah. Wahrscheinlich zerrupft.
„Sie war hier.“
„Oh toll, kommt sie öfter?“
„Machen Sie sich nicht lustig über mich. Mir ist nicht zum Lachen zumute.“
„Von wem reden Sie?“
„Von der Steuerschlampe Stella.“
„Ihrer Chefin?“
Irene errötete unter seinem Blick. „Leon ist mein Chef. Sie ist seine Partnerin, seine Geschäftspartnerin. Dachte ich jedenfalls. Ihm gehören sechzig Prozent und den beiden anderen Partnern je zwanzig.“
„Ich verstehe Sie nicht, es ist doch nicht ungewöhnlich, dass sich Geschäftspartner auch privat treffen.“
Irene seufzte und setzte sich auf das Sofa. „Bei Leon ist das anders. Er trennt Privates und Geschäftliches strikt.“
„Außer bei Ihnen?“
„Das war sozusagen ein Notfall … und eine Übergangslösung. Sobald ich eine andere Stelle gefunden habe, verlasse ich @dospasos, muss ich dospasos verlassen. So ist es abgemacht.“ ‚Mädchen, was redest du für einen Bockmist zusammen, das glaubt er dir nie‘, dachte sie und schickte ihm ihr freundlichstes Immobilienmaklerinnen-das-ist-ein-echtes-Schnäppchen-Lächeln.
„Eine Übergangslösung für den Notfall, und was ist das?“
Irene streckte das Kinn heraus. „Ich bin allein erziehend. Als ich meine Stelle verlor, war ich ziemlich fertig. Deshalb hat Leon mir den Job in seiner Firma angeboten, bis ich etwas anderes finde.“
„Sie waren bereits liiert, bevor Sie die Stelle angetreten haben? Wollen Sie mir das sagen?“
„Genau!“ Irene fragte sich, was daran so schwer zu verstehen war und vor allem, was es da zu grinsen gab, denn er grinste sie überaus frech an.
„Was hat das nun mit der Steuerschlampe und dieser Wohnung und Ihrem Versteck hinter dem Sofa zu tun?“
„Leon hat noch nie jemanden aus der Firma mit zu sich nach Hause genommen. Nie.“
Ollner
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