Nur ein Katzensprung
sah verwundert aus. „Sie auch nicht? Sie haben sich immer …?“
„Bei mir getroffen, ja, oder auswärts.“
„Seltsam, verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“
„Schon gut. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Jedenfalls sie war hier.“
„Woher wissen Sie das?“
„Ihr Lieblingsschal, natürlich von Chanel, liegt drüben neben dem Bett.“ Sie sagte die Worte so beiläufig wie möglich. Trotzdem spürte sie einen dicken Kloß im Hals. Hoffentlich hörte er das nicht.
Ollner nickte. „Sie glauben, er hat Sie betrogen, bevor er verschwunden ist. Hilft uns das weiter?“
„Vielleicht hat sie? Ich meine, das soll schon vorgekommen sein.“
„Was hat sie? Ihn verschleppt? Ihn verschwinden lassen?“
„Vielleicht hat sie einen großen Bruder oder einen Ex, der sie beschützen wollte.“
Ollner begann, im Raum herumzugehen. Er betrachtete die Gegenstände und ihre Position zueinander eingehend. Vor den Fotos blieb er reglos stehen. Dann sah er aus dem Fenster. „Ich denke, ich werde die KTU bitten müssen, sich das einmal genauer anzuschauen.“
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Holzminden
Dienstag, 1. November 2011
gegen 14 Uhr
18
Erst nachdem sie den Landkreis Holzminden hinter sich gelassen hatten, sprach Kofi das erste Wort. „Kanalreiniger!“
„Hä?“
„Jänickes Beruf. Kanalreiniger.“
„Soll ein ehrenwerter Beruf sein“, sagte Stefan Ollner.
„Ehrenwert sicher, aber irgendwie geruchsintensiv, oder?“
„Kann sein!“
„Das ist Holzen, hier gab es mal Kriegsgefangenenlager, heute kommen die Leute hauptsächlich zum Klettern an den Ith-Klippen hierher. Da verstecken sich auch ein paar Höhlen, in denen man Bärenknochen und irgendwelche steinzeitlichen Gefäße gefunden hat. Außerdem wohnen in der Rothesteinhöhle Fledermäuse. Warst du hier schon einmal?“
Stefan Ollner schüttelte den Kopf.
„Lohnt es sich?“ Er lebte jetzt bald ein Jahr in Holzminden und kannte sich im Stadtzentrum schon ziemlich gut aus. Gelegentlich hatte er auch in den umliegenden Dörfern zu tun. Doch bis hierher hatte es ihn selten verschlagen.
Kofi hingegen, der in Holzminden aufgewachsen war, erinnerte sich an weitere Details. „Wir sind früher manchmal zum Picknicken hierher gegangen. Sonntags war bei uns Familienausflugtag. Und die Ith-Höhlen gefielen mir immer besonders gut.“
Abwesend zupfte Ollner an seinem Ohrläppchen. „Lass uns kurz über den Dospasos-Fall reden, ja?“
Kofi sah ihn erstaunt an, nickte dann. „Okay, schieß los.“
„Wir haben drei Beteiligte. Das ist zum einen Irene-liebt-er-mich-wirklich, Immobilienmaklerin und quasi Mädchen für alles, dazu kommen Ich-wäre-gern-die-Geliebte-des-Chefs-Stella, zuständig für Steuersachen, und Oliver-wasch-mich-aber-mach-mich nicht nass. Er ist Anwalt und kümmert sich um alle Verträge.“
„Was ist der Verschollene für einer?“
„Lover-Leon, Betrüger-Leon oder Opfer-Leon? Ich bin mir absolut nicht sicher.“
Kofi musste über die Angewohnheit seines Vorgesetzten grinsen, allen Menschen, denen er begegnete, sprechende Namen zu geben, mit deren Hilfe er sie problemlos wiedererkennen und den richtigen Situationen zuordnen konnte.
„Vielleicht treffen sie alle zu.“
„Könnte durchaus sein. Also, ich bin mir ganz sicher, dass beide Einbrüche, der in das Büro und der in seine Wohnung, gefaked wurden.“
„Meinst du, er hat das selbst so hergerichtet?“
„Irgendjemand hat ein Interesse daran, es so aussehen zu lassen, als wäre Leon überfallen worden. Stellt sich die Frage, was geschah danach? Wurde er verschleppt? Es gibt keinerlei Forderungen, weder nach Lösegeld noch nach etwas anderem.“
„Könnte also sein, dass er die Mücke machen wollte, die Zelte hinter sich abbrechen, sich aus dem Staub machen …“
„Schon gut, ich hab’s verstanden. Das hätte er intelligenter einfädeln können, oder?“
„Es sei denn, er war in Zeitnot.“
„Guter Einwand. Wer oder was hat ihn bedrängt?“
„Geld oder Liebe?“
„Cherchez la femme, Stella oder Irene? Womit könnten Sie ihn dermaßen in Panik versetzen, dass er Hals über Kopf flüchtet?“
„Vielleicht hat eine von beiden ihn vor der anderen versteckt.“
„Als Sexsklave im Keller des Katzensprungtors, klingt nach Groschenroman.“
„Bleibt das Geld.“
Ollner wiegte den Kopf. „Geld, lass mich nachdenken. Dieser Leon hat zwei Aufgaben in der Beratungsfirma, deren größten
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