Nur Ein Toter Mehr
heißt, du …«
»Ich will bloß meine Neugier befriedigen. Und ich frage nur, um nichts unberücksichtigt zu lassen. Nur einer muss davor zittern, dass ich mir Klarheit darüber verschaffen will, wer der Mörder ist. Und du bist dir ja sicher, dass das nicht Félix ist.«
»Natürlich ist das nicht Félix! … Aber jetzt muss ich wieder an die Arbeit, die macht sich bekanntlich nicht von allein.«
Damit dreht sie sich um und geht mit raschen Schritten auf den Stall zu.
»Darf ich hier auf Félix warten?«, rufe ich noch schnell hinter ihr her.
»Was anderes wird er dir auch nicht erzählen«, höre ichsie nur noch murmeln, bevor die Stalltür krachend hinter ihr zufällt.
Da ich bei Elixane nicht mehr länger willkommen scheine, schlüpfe ich durch das Loch in der Hecke zurück auf den Pfad, wo ich mich auf einem Stein am Wegesrand niederlasse. Hoffentlich erkenne ich Félix Apraiz noch; Menschen, die vom Krieg heimkehren, sind nicht mehr dieselben.
Es ist inzwischen später Vormittag, die milde Septembersonne schenkt mir den letzten Gruß dieses Jahres. Was kann ich aus Elixanes brüskem Verhalten schließen? Kann ich überhaupt etwas daraus schließen? Ihre ängstliche Miene muss nicht heißen, dass Félix Apraiz tatsächlich der Täter ist und sie sich fürchtet, dass ich es nach all den Jahren ans Licht bringe. Angst und Argwohn sind uns seit dem Krieg zur Gewohnheit geworden.
Ihren Mann habe ich als mittelgroß, drahtig und wortkarg in Erinnerung. Nach gut einer halben Stunde glaube ich, ihn den Pfad heraufkommen zu sehen: Größe und Figur kommen ungefähr hin, auch der federnde Gang. Er trägt einen alten, grobgestrickten Pullover über einem genauso alten karierten Hemd, eine robuste, mehrfach geflickte Baumwollhose, zerschlissene Leinenschuhe und auf dem gebeugten Kopf eine Baskenmütze, die wie festgewachsen scheint.
»Guten Tag, Félix«, begrüße ich ihn.
»Tag, was gibt’s?«, brummt er und geht an mir vorbei.
Ich springe auf. »Warte! Ich habe eben schon mit deiner Frau gesprochen. Ich bin Sancho Bordaberri, der Sohn von Vicente.«
Er macht es mir wirklich nicht leicht; ich meine, ich musste mich mit dem Namen vorstellen, unter dem mich alle kennen, und nicht mit dem, der meiner neuen Identität entspricht, damit er stehen bleibt und sich zu mir umdreht.
»Du hast also mit ihr geredet«, sagt er. »Und über was, wenn man fragen darf?«
»Über das, was vor zehn Jahren am Strand geschehen ist, an deinem Felsen«, erkläre ich hastig.
Es wirkt wie einstudiert: Erst ist er erstarrt, doch kaum ist das letzte Wort verklungen, stellt er seinen Sack mit dem Fang des Tages und sein Körbchen mit den aufgewickelten Schnüren und Haken für die Tintenfische auf den Boden und lässt sich auf meinen Stein sinken.
»Ich war nicht dabei.«
Seltsam, obwohl er mit dieser Antwort, die klarstellt, dass er nicht die beste Quelle ist, jede weitere Frage abzuwehren scheint, verrät mir sein offener Blick durchaus die Bereitschaft, mir Rede und Antwort zu stehen.
»Ich weiß. Doch ich möchte so viele wie möglich dazu befragen, ob sie nun dabei waren oder nicht. Aber keine Sorge, ich stelle niemanden an den Pranger. Ich sammle nur Indizien. Ich habe schon mit Lucio Etxe, Eladio Altube und dessen Frau Bidane gesprochen. Mit ihren und hoffentlich noch vielen weiteren Zeugenaussagen wird es mir vielleicht gelingen, den Täter zu überführen und so die Eintracht in Getxo wiederherzustellen. Das ist doch für uns alle gut, oder nicht?« Er nickt bedächtig. »Ich verstehe natürlich, dass dir das nicht so ganz behagt, schließlich hättest du ein Motiv, mehr als andere, um …«
»Gut.«
»Gut?«
»Ja, es ist höchste Zeit.« Félix Apraiz hat ein nettes Lächeln. »Weißt du, dass du der Erste bist, der mich darauf anspricht? Noch nicht mal meine Frau hat mit mir darüber geredet. Kein einziges Wort hat sie darüber verloren. So wie der ganze Ort. Dabei bin ich mir sicher, dass sie darüber geredet haben. Hinter meinem Rücken.«
Unwillkürlich durchläuft mich ein Schauder, als ich mir vorstelle, wie es sein muss, überall mit eisigem Schweigen empfangen zu werden, weil alle einen des Mordes verdächtigen.
»Das muss ziemlich hart gewesen sein.«
Er runzelt die Stirn.
»Dass wir uns richtig verstehen: Die Leute haben mich nicht geschnitten, in der Kneipe oder wenn ich jemandem auf der Straße begegnete unterhielten wir uns weiterhin ganz normal, debattierten über Fußball, Fischfang, die Ernte,
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