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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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Politik. Und meine Frau redete von da an sogar mehr mit mir als früher – über alles, nur über jene Nacht nicht. So, als ob jemand das Datum aus dem Kalender in unserer Küche gestrichen hätte. Sobald ich davon anfing, lief sie aus dem Zimmer. Und brachte ich am Tresen von La Venta die Sprache darauf, verstummten alle, als hätte man ihnen die Zunge abgeschnitten, und redeten dann schnell von etwas anderem.« Bedrückt bückt er sich nach einem herumliegenden Stöckchen und scharrt damit auf dem staubigen Boden herum. »Und wie denkst du darüber?«
    »Ich? Ich suche nur Beweise. Und sobald ich den Täter habe, setze ich den Schlusspunkt unter meinen Roman.«
    »Deinen … was?«
    Irritiert starrt er mich an. Warum glaube ich dennoch, dass er meine neue Identität besser kapieren wird als alle anderen? Weil er sich eine Zeit lang mit meinem Vater in den Bergen versteckt hielt?
    »Ich bin jetzt Samuel Esparta und nicht mehr Sancho Bordaberri … zumindest eine Weile. Die neue Identität habe ich mir für meine neue Aufgabe zugelegt: Ich schreibe Wort für Wort alles auf, was wir sagen und tun und was sonst noch passiert, und all das zusammen ergibt den Stoff eines Romans. Dessen letzte Seite geschrieben ist, wenn ich denTäter überführt habe«, sprudelt es aus mir heraus. »Und auch wenn du das jetzt vielleicht nicht ganz verstehst, kann ich dir versichern, dass ich nur deshalb alle befrage und sonst keinerlei Hintergedanken habe.«
    »Keine Sorge, ich freue mich, dass endlich jemand über diese Gewalttat spricht, sei’s nun in einem Roman oder in Wirklichkeit.« Er kratzt sich unter seiner Baskenmütze. »Allerdings kämpfst du auf verlorenem Posten: Nie im Leben wird einer zu dir kommen und sagen, der und der war’s.«
    »Das erwarte ich auch gar nicht. Samuel Esparta wird dennoch unermüdlich nach dem Täter suchen, und mit jeder Fährte, auf die ihr mich bringt, komme ich ihm ein Stück näher.«
    »Und was hast du am Ende davon?«
    Ich bin mir sicher, dass Félix Apraiz von der Tragweite seiner Frage nichts ahnt, weshalb meine schlichte Antwort sicher dem entspricht, was er erwartet:
    »Wir sind es unserer Dorfgemeinschaft schuldig, dass der Mord aufgeklärt wird, meinst du nicht auch? Mit jedem Jahr des Schweigens wird es jedoch schwieriger, die Wahrheit zu erfahren, den Namen dieses grausamen Mörders, der mitten unter uns lebt und dieselbe Luft atmet wie wir.«
    In Félix Apraiz’ Gesicht spiegelt sich Überraschung, wenn auch nur kurz.
    »Die Kette um ihre Hälse, die ansteigende Flut … Dass du damit ankommst, macht mir keine Angst, auch wenn ich es komisch finde, wieder darüber reden zu können«, sagt er nachdenklich. »Kurz darauf kam der Krieg mit seinen unzähligen Toten, und wir vergaßen Leonardo Altube; damals war er nur ein Toter mehr. Dass du jetzt das Unterste wieder zuoberst kehrst, ist wichtig und richtig, denn irgendwann muss man die Vergangenheit aufarbeiten, und wir hier in Getxo sind nicht wie Francos Anhänger, wir trauern umjeden Toten. Wenn du wüsstest, was ich in den sechs Jahren, die ich Zwangsarbeit leisten musste, alles gesehen habe. Meine Kameraden wie in den Gefängnissen standrechtlich zu erschießen, war gar nicht nötig, sie sind vor Hunger und Erschöpfung mitten auf der Straße zusammengebrochen, und Francos Schergen haben sie dort einfach verrecken lassen. Tausende! … Drum nur zu, Samuel Esparta, nimm die Sache in die Hand.«
    Vor Dankbarkeit hätte ich beinahe einen Luftsprung gemacht. Ohne dass ich Félix Apraiz darum gebeten hätte, hat er mir eine Art Vollmacht erteilt, irgendwie ist es so, als ob er stellvertretend für ganz Getxo in Espartas Büro gekommen wäre. Mein erster offizieller Fall! … Doch sind Hammett und Chandler nicht auch schon mal von einem Kunden beauftragt worden, der sich hinterher als der Mörder entpuppte?
    »Erinnerst du dich noch daran, wer dir die Nachricht von Leonardos Tod überbracht hat?«
    »Meine Frau, als sie gegen elf mit den leeren Milchkannen zurückkam. ›Einer der Altube-Zwillinge ist umgebracht worden!‹, flüsterte sie, und als ich sie fragte, warum sie so leise spricht, sagte sie: ›Weil sie an deinem Eisenring festgekettet waren.‹ In dem Moment hätte ich mich ohrfeigen können, dass ich das Eisen nicht schon längst herausgerissen hatte. Gerade wegen dieser beiden Halunken hatte es mir schon so viel Ärger bereitet …«
    Er stockt, sodass ich ihn fragen kann: »Hattest du gleich jemanden in Verdacht? Schoss

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