Nur Ein Toter Mehr
dir irgendein Name durch den Kopf?«
»In Verdacht? Alle und niemanden. Jeder hier hatte mit ihnen doch irgendein Hühnchen zu rupfen.«
»Ja, schon, aber einer muss mehr Gründe als alle anderen gehabt haben.«
Er schüttelt den Kopf.
»Nein. Die Altube-Brüder waren ein übles Pack und haben alle übers Ohr gehauen. Jedem hätte der Kragen platzen können, ausnahmslos.«
»In besagter Nacht bist du aus dem Haus gegangen, weil du nicht schlafen konntest, hat deine Frau gesagt.«
Seine Reaktion hat zwei Phasen: Zuerst räuspert er sich, dann lacht er leise auf.
»Stimmt.«
Völlig perplex sehe ich ihn an. Warum gibt er dieses Detail so unumwunden zu, obwohl es ihn belastet? Weil er tatsächlich nicht der Täter ist? … Oder will er den Eindruck erwecken, dass er unschuldig ist, und so jeden Verdacht von sich ablenken? … Andererseits ist es schon merkwürdig, dass beide Eheleute sich nach zehn Jahren noch genau an so etwas Belangloses wie eine schlaflose Nacht erinnern und es zudem freimütig bekennen … Allerdings bedeutet das nicht zwangsläufig, dass beide dasselbe damit bezwecken. Elixane zum Beispiel kann es einfach nur so rausgerutscht sein, weshalb er es notgedrungen bestätigen musste … oder sie wollte, aus welchen Gründen auch immer, ganz gezielt den Verdacht auf ihren Mann lenken. Nur: Wenn dem wirklich so wäre, warum hat sie dann so lange damit gewartet?
»Du hättest also gut die Zwillinge niederschlagen und an den Felsen ketten können«, sage ich ihm auf den Kopf zu.
Er zuckt mit den Achseln.
»Ja, hätte ich tun können.«
»Und was hat die Polizei dazu gesagt?«
»Danach hat mich damals niemand gefragt.«
Ungläubig starre ich ihn an. »Was zum Teufel war das für eine Ermittlung, wenn noch nicht mal der Hauptverdächtige anständig verhört wurde?!«
»Der Hauptverdächtige? Ich?«
»Danach gab es noch zwei weitere Mordversuche. Wusstest du das?«
»Hat Eladio dir das erzählt? Und das nimmst du ihm ab? Der lügt doch immer schon das Blaue vom Himmel herunter!«
»Ruhig Blut«, beschwichtige ich ihn. »Du hättest sie nicht an deinen Eisenring gekettet, sondern auf andere Weise umgebracht. Der, der sie dort festgemacht hat, ist allerdings auch nicht dumm: Er konnte dir so den Mord anhängen. Hat deine Frau dich eigentlich nie gefragt, was du in jener Nacht draußen gemacht hast?«
»Nein, hat sie nicht«, stöhnt er, »ich sagte doch schon, dass sie sich immer geweigert hat, darüber zu reden.«
»Das ist schlecht.« Ich schüttele bedauernd den Kopf. »Ich bin zwar kein Hellseher, aber höchstwahrscheinlich hat sie dich deshalb nicht gefragt, weil sie Angst hatte, dass du …«
»… dass
ich
sie festgekettet habe?«
»Hätte sie dich nur mal gefragt.«
»Es war nicht das erste Mal, dass ich nachts raus an die frische Luft bin, weil ich nicht schlafen konnte, und sie hat mich nie gefragt, wo ich war. Was soll man draußen auch groß machen, wenn es stockfinster ist.«
»In jener Nacht ist allerdings durchaus was geschehen. Darum hatte sie Angst, dich zu fragen.«
Félix Apraiz schweigt beinahe eine Minute, vermutlich denkt er nach.
»Du glaubst also, sie hält mich für den Mörder?«, fragt er dann mit zitternder Stimme.
»Nein. Aber sie hat Zweifel, und deshalb will sie es lieber nicht wissen. Darum stellt sie dir nicht die eine, alles entscheidende Frage.«
Da springt Félix Apraiz erzürnt auf.
»Jetzt pass mal gut auf, Sancho Bordaberri, Sam Esparta oder wie zum Teufel du dich auch immer nennen magst: Dieses komische ›Verhör‹, mit dem du mich gerade durcheinanderbringen willst, ist sicher gut für das Handlungsgerüst deines Romans – aber so wahr ich Félix Apraiz heiße und meine Frau Elixane: Meine Frau zweifelt nicht an meiner Rechtschaffenheit! Und deshalb, du Schlauberger, sage ich dir jetzt, warum Elixane mich in zehn Jahren nicht ein einziges Mal danach gefragt hat: Weil sie einfach eine grundanständige Baskin ist und viel zu viel Taktgefühl hat, um ihren Mann, der sich eh schon ununterbrochen Vorwürfe macht, dass er diesen verdammten Ring in den Felsen zementiert hat, an jene unselige Nacht zu erinnern.«
8 Schritte zählen
Habe ich Koldobike eigentlich schon gesagt, dass an unserer Eingangstür noch der Schriftzug fehlt? Gerade als ich die Klinke herunterdrücken will, macht sie von innen die Tür für eine ältere Frau auf, die sich scheu verabschiedet.
»Hallo, Puppe«, begrüße ich sie so selbstverständlich, wie man sich eine
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