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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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rausgeholt.«
    Ich nicke zufrieden. »Mehr braucht man zu einem solchen Requisit nicht zu wissen. Du weißt ja, in einem Roman muss man alles erzählen. Zum Beispiel auch, dass du in jener Nacht am Strand warst. Und darum beneide ich dich. Diese Szene wird dir nämlich garantiert besser gelingen als mir, denn ich war ja nicht zugegen. Du schilderst sie doch, oder?«
    Meine Worte machen ihn richtig glücklich.
    »Na klar, Samuel!« Freudestrahlend klopft er mir auf dieSchulter. »Oder soll ich dich Sam nennen? Jedenfalls danke für den Hinweis. Und dass du mir zutraust, den Roman zu schreiben. So langsam taust du auf. Vielleicht werden wir ja noch richtige Schriftstellerfreunde.«
    »Das wird eine verdammt starke Szene werden, reiner Realismus«, fahre ich erbarmungslos fort. »Wann hat man das schon einmal: der Erzähler als direkter Augenzeuge, der die Verdächtigen in jener Schicksalsnacht hat kommen und gehen sehen. Ach, was sage ich, Verdächtige: Vielleicht ist das Verbrechen ja direkt vor deiner Nase geschehen und du weißt sogar, wer es war. Du bist mir gegenüber wirklich eindeutig im Vorteil, ich könnte vor Neid platzen.«
    Er nimmt die Brille ab, um mich genau zu mustern.
    »Sag mal, ist das eine genretypische Falle?« Er zwinkert mir ermunternd zu. »Du darfst mir gern vorsagen, was ich daraufhin schreiben soll, damit diese Szene ganz nach deinem Geschmack gerät. Du tauchst nämlich auch in meinem Roman auf, ob du willst oder nicht.«
    »Ob du nun dort warst oder nicht …«
    »… bleibt vorerst mein Geheimnis. Zwar bin ich noch dein Lehrling, aber ich weiß, dass man immer einen Trumpf in der Hinterhand haben sollte. Tut mir leid … Damit du aber nicht denkst, ich sei undankbar, bekommst du was anderes.«
    Er zieht aus der Brusttasche seines Blauhemds mehrere gefaltete Blätter, drückt sie mir in die Hand und sucht dann so schnell er kann das Weite, so als fürchte er im Voraus schon mein vernichtendes Urteil.
     
    Schon nach drei Zeilen weiß ich, dass sie von Tomasón Zalla und seinem Sohn handeln: Aguirre hat sie gleich nach mir in ihrer Schmiede aufgesucht. Achtlos stecke ich den Papierwust in meine Hosentasche.
    »Zweiundfünfzig Peseten und fünfundsiebzig Céntimos«, jubelt Koldobike, als ich die Buchhandlung betrete, und reicht mir einen Umschlag: unsere Tageseinnahmen.
    »Verrätst du mir auch noch, was ich morgen machen soll?«
    »Schlafen. Dein Fall läuft dir nicht davon, schließlich hat er schon zehn Jahre gewartet. Wie war’s bei Don Julio?«
    »Halb Getxo war anscheinend in jener Nacht am Strand. Das reinste Volksfest. Nur ich war nicht dabei.«
    »Und was hat der Doktor erzählt?«
    »Dass er nichts gesehen hat.«
    »Na ja, als er an den Strand kam, war ja alles schon vorbei.«
    »Ja, schon, aber es muss doch irgendwas in der Luft gelegen haben, eine Spannung, ein Knistern, das verklungene Echo der Schreie, irgendwas!«, rufe ich ungehalten. »Und dieser blöde Strand, wo ich heute früh gleich als Erstes war, hat mir auch nichts verraten.«
    Koldobike schüttelt den Kopf. »Strände können nicht reden. Stell dir vor, wenn all die Zimmer, Wälder, Straßen, Friedhöfe, Katzen oder Papageien in den Krimis reden könnten, bräuchte man euch Privatdetektive doch überhaupt nicht mehr. Geh heim, Sam, genug getan für heute.«
     
    An der Wohnungstür kommt mir Elise mit einer Kerze in der Hand entgegen und leuchtet mir ins Gesicht.
    »Ich war beim Arzt«, beruhige ich sie.
    »Großartig. Hat er auch dein Gesicht gesehen?«
    »Er hatte es vor sich.«
    »Und?«
    »Alles braucht seine Zeit.«
    »Mutter ist schon schlafen gegangen. Ich habe ihr gesagt, Koldobike hätte dich zum Essen eingeladen. Weißt du, siemacht sich Sorgen, weil du dich zu Hause gar nicht mehr blicken lässt.«
    Mit einem erleichterten »Gute Nacht, Elise« verschwinde ich in meiner Schlafkammer, jedoch kommt meine große Schwester, die mich schon seit zwanzig Jahren nicht mehr ins Bett gebracht hat, hinter mir her.
    »Willst du mir nicht endlich sagen, was du die ganze Zeit treibst? Noch hat es mir niemand erzählt, aber ich bin nicht dumm, Sancho. Das eine oder andere Gerücht dringt sogar bis zu mir durch.«
    Seufzend lasse ich mich auf der Bettkante nieder. Angesichts solcher sanften blauen Augen wird einfach jeder schwach.
    »Du … du hast mich doch immer ermuntert, zu schreiben, Elise.«
    »Ja. Weil es dir Freude macht.«
    »Jetzt schreibe ich richtig.«
    »Und dafür musst du in Getxo so viel Staub

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