Nur Ein Toter Mehr
widerspenstige platinblonde Locke aus ihrem Gesicht streicht. »Erst mal ist es einfach nur eine Kette, Kiloware, die man in diesen lausigen Zeiten gut verhökern kann. Und Diebe gibt es schließlich überall.«
»Aber diese Kette ist die Tatwaffe! Erst hatte sie Joseba Ermo verschwinden lassen und jetzt der Mörder.«
»Ja, das glaube ich auch, dass bei diesem Diebstahl der Mörder die Hand im Spiel hat«, unterstützt das Blauhemd meine Vermutung.
»Und wieso tut er das gerade jetzt, nachdem sie dort zehn Jahre unbeachtet in der Ecke lag?«, bohrt Koldobike in ihrer ernüchternden Art nach.
»Na, weil er erst jetzt Gefahr wittert!«, rufe ich aus.
»Jawohl.
Wir
sind die Gefahr!«, wagt diese Schmeißfliege von Blauhemd sich übereifrig vor.
»Die Frage ist doch, Puppe: Was kann uns diese Kette verraten? Was zum Teufel hat sie uns zu erzählen?«
»Puppe?«, fragt das Blauhemd verwundert.
Ich wende mich ihm zu.
»Wo ist Ermo jetzt? Im Krankenhaus?«
»Nein, in seiner Eisenwarenhandlung.«
»Und woher weißt du das?«
»Eladio Altube hat es mir vorher erzählt, als ich ihn in seiner Hühnerfarm …«
Ich sehe Koldobike an. »Ich muss sofort in die Eisenwarenhandlung.«
»Ich komme mit!«, ruft Luciano und fügt, als er meinen wütenden Blick sieht, schnell hinzu: »Ich habe dir schließlich die Neuigkeit überbracht.«
Ich kann nicht anders, als Mitleid mit ihm zu haben, schließlich habe ich einmal genauso kläglich angefangen, und er muss nun einfach ständig um mich herumflattern, in der Hoffnung, dass auch ein paar Brosamen für ihn abfallen.
Voller Dankbarkeit läuft er eilfertig hinaus, um mir die Tür aufzuhalten, Koldobike hält mich aber noch kurz am Ärmel zurück.
»Ist dir aufgefallen, dass man Joseba Ermo eins übergebraten hat? Genau wie den Zwillingen?«
»Verbrecher greifen nun mal zu bewährten Methoden.«
»Irgendjemand hat doch die Theorie aufgestellt, dass die Zwillinge sich selbst eins übergezogen haben.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Schau dir genau an, ob Ermos Beule wirklich von einem Schlag stammt. Am Ende hat er nämlich sich selbst die Kette gestohlen … Ha, ein echt hübsches Trio! Nur: Ist es nicht merkwürdig, dass Eladio, Leonardo und Joseba auf einmal eine Einheit bilden?«
Als ich hinaus auf die Straße trete, pfeift Luciano anerkennend durch die Zähne.
»Alle Achtung, deine Puppe hat echt Köpfchen. Du würdest einiges wesentlich schneller verstehen, wenn
sie
dir deinen Roman schreiben würde. Wie viel zahlst du ihr?«
14 Ein meisterhaftes Räderwerk
Auch wenn sie nicht alle unter demselben Dach in La Venta wohnen, sind die Ermos eine Bagage für sich. Joseba Ermo Azkorra ist gerade mal sechzig, hat kaum Fleisch auf den Rippen, ein spitzes Gesicht und unheimlich flinke Augen. In Getxo wird er von allen verachtet, weil er im Krieg Republikaner und baskische Nationalisten denunzierte. Im Juni 1937 führte er zudem mitten in der Nacht einen Trupp Falangisten zum Haus von Simón García, den diese dann auf den Fadura-Wiesen zusammen mit dessen sechzehnjährigem Sohn Antonio kaltblütig umlegten. Als »Belohnung« erhielt Ermo den kleinen Hof der Familie, Gurbietaena, den er sich noch am selben Tag unter den Nagel riss, an dem Garcías Frau Aurore mit der Großmutter Antonia und den beiden jüngeren Kindern Karmele und Gabino mit Sack und Pack ausziehen mussten. Wie mir Señorita Mercedes irgendwann einmal erzählt hatte, stehlen die Lausbuben seither in der Dämmerung die Früchte des riesigen Feigenbaums, der vor Gurbietaena steht.
Als das Blauhemd und ich die Eisenwarenhandlung betreten, sitzt Ermo, den dick verbundenen Kopf in die Hände gestützt, auf dem Schemel am Ende des Ladentischs. Sein junger Angestellter und Eladio Altube bedienen zwei Kunden.
»Himmel!«, ruft Luciano. »Du siehst ja aus, als kämst du aus dem Krieg.«
»Es hätte nicht viel gefehlt, und dieses Schwein hätte mich umgebracht«, stöhnt Ermo.
»Hast du dir den selbst angelegt?«, frage ich, während ich den Verband näher in Augenschein nehme.
»Ich? Wie denn, wenn ich im Krankenhaus in Bilbao erst wieder zu Bewusstsein gekommen bin?«, erwidert er mürrisch. »Das einzig Gute daran ist, dass sie kein Geld dafür verlangt haben.«
So wie der Verband gewickelt ist, scheint wirklich kein Laie am Werk gewesen zu sein, auch wenn an einer Stelle schon leicht das Blut durchsickert.
»Du wirst dein Geld schon noch los«, sagt Eladio in diesem Augenblick.
»Bestimmt. Von den
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