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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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widersprechen, und frage deshalb nur: »Und was passierte dann?«
    »Die Zallas, Etxe und ich blieben bei ihnen, bis endlich der Richter und die Polizei aus Bilbao kamen, und danach transportierten wir den niedergeschmetterten Eladio auf einem Esel nach Hause.«
    »Am Ende war es also doch Eladio!«
    »Warte … Als Antimo und ich ihn auf das Tier hievten, wollte ich ihn mit einem ›Los, hoch mit dir, Leonardo!‹ ermuntern. Und weißt du, was dann passierte? Er schrie mich an: ›Wollen Sie sich über uns lustig machen, Doktor? Finden Sie es etwa witzig, dass mein armer Bruder da wie ein Stück Treibholz im Sand liegt? Was sind Sie bloß für ein hartherziger Mensch!‹ An jene Nacht zu denken, ist schonschrecklich genug, aber das werde ich mein Lebtag nicht vergessen, genauso wenig wie den Blick, mit dem er mich dabei bedachte. Ich starrte ihn nur sprachlos an – und plötzlich brach er weinend über der Kruppe des Esels zusammen und wimmerte: ›Seht ihr denn nicht, dass ich Eladio bin?!‹
    Wie ist dieses Missverständnis zu erklären, wirst du dich jetzt fragen. Ganz einfach: Als ich ihn untersuchte, wollte ich von ihm noch mal seinen Namen hören, um die Funktionsfähigkeit seines Gehirns zu testen. Worauf er nur ›Eladio!‹, winselte, immer wieder ›Eladio, Eladio!‹ – was ich irrtümlicherweise als Klage um seinen toten Bruder auffasste, da er zu Antimo ja gesagt hatte, er sei Leonardo … Es ist aber auch kaum vorstellbar, wie groß der Schmerz über den Verlust eines Zwillingsbruders sein muss, dessen Todeskampf man aus nächster Nähe erlebt hat.«
    »Der noch umso größer sein muss, wenn es sich um einen von den Zwillingen ausgeheckten Plan handelt, der aus irgendeinem Grund schiefgelaufen ist. Einer meiner dazu Befragten vermutet nämlich, dass der Mordanschlag von den beiden vorgetäuscht war, damit wir ihnen ihre Gaunereien nachsehen.«
    »So ein Unsinn!« Don Julio kommt zurück an den Tisch, die Ungläubigkeit steht ihm ins Gesicht geschrieben. »So was Absurdes kann doch nur jemandem einfallen, der nicht mehr ganz richtig im Kopf ist! Nimmst du diesen Unsinn etwa ernst?«
    »Hm … die Theorie ist zumindest bedenkenswert, weil das ein ganz schön raffinierter, bis ins kleinste Detail ausgeklügelter Plan wäre, der von der Durchtriebenheit der Brüder zeugt. Allein die Zeit zu berechnen, die zum Beispiel Etxe gebraucht hätte, um … aber lassen wir das. Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«
    »Reicht das noch nicht?«
    Inchauspes Augen blitzen, er scheint an meinen scharfsinnigen Gedankengängen Gefallen zu finden.
    »Na ja, je mehr Zeugenaussagen, umso besser, es entgeht einem doch immer irgendwas. Und möglicherweise trieb sich der Verbrecher ja noch irgendwo dort herum, als Sie an den Strand kamen. Vielleicht haben Sie ein verdächtiges Geräusch gehört … oder irgendwo wachsame Augen aufblitzen sehen? Etxe behauptet nämlich, in jener Nacht ein Gesicht gesehen zu haben.«
    »Ein Gesicht bei dem Nebel, zumal es noch fast Nacht war?«
    »Ja, und heute früh hat er ihn wiedererkannt.«
    »Er hat ihn wiedererkannt?!« Der Doktor atmet tief ein. Um Mut zu schöpfen, die alles entscheidende Frage zu stellen? »Wer ist es? Kennt man ihn?«
    Ich stehe auf.
    »Es ist schon spät.«
    Kurz sieht Don Julio mich an, dann lächelt er nachsichtig.
    »Du hast recht, es ist dein Fall, du entscheidest, wann du was preisgibst. Aber würdest du mich auf dem Laufenden halten? … Obwohl … nein, besser nicht. Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück, Sancho. Und ich, ach was, ganz Getxo dankt dir, dass du, auf welchen Wegen auch immer, endlich Licht in diese dubiose Geschichte bringst.«
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen, Doktor, mich fortan Sam zu nennen, Samuel Esparta? Wenn meine Visitenkarten gedruckt sind, schicke ich Ihnen eine.«
    »Gerne, Sam.«

13 Die Kette
    Ein paar Meter vor der Buchhandlung wartet Luciano Aguirre auf mich.
    »Was ist deine Angestellte bloß für eine Kratzbürste! Hat die mich vielleicht grimmig angeschaut! Da kann einem wirklich die Lust vergehen, drinnen auf dich zu warten.«
    Irgendwas ist heute anders an ihm.
    »Seit wann trägst du eine dunkle Brille?«
    »Wie? … Ah, seit ich in Valladolid war, zwei Jahre vor dem Krieg. Macht Eindruck, was?«, erklärt er selbstgefällig. »Bei den Auseinandersetzungen damals mit dem roten Gesocks hat sie mir gute Dienste erwiesen. Eine Zeit lang lag sie bei mir zu Hause in der Schublade, aber jetzt habe ich sie wieder

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