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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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brauchst du noch einen Doktor? Geh besser nach Hause und lass Elise noch mal die Sicherungen rausdrehen.«
    »Der Doktor war an jenem Morgen am Strand. Vielleicht hat er ja noch mehr gesehen als Lucio Etxe und die Zallas.«
    »Und diese Schmeißfliege von Falangist.«
     
    Don Julio Inchauspe hat seine Praxis an der Avenida de Larragoiti, die mitten durch den Ortsteil Algorta führt. Fast jeder in Getxo ist schon mal von ihm behandelt oder mit Medikamenten versorgt worden, und allen, die ihn ihr Leben lang nicht brauchten, hat er zumindest den Totenschein ausgestellt.
    Erster Stock. Ich betätige den Türklopfer. Hoffentlich macht er nicht gerade Hausbesuche. Aber nein, er hat Sprechstunde. Drei Leute sind noch vor mir dran.
    Don Julio ist ein stiller und freundlicher Mann Mitte fünfzig, dessen Handschrift Apotheker ohne Mühe lesen können. Liebenswürdig schüttelt er mir die Hand, bevor er sich hinter seinen Tisch setzt.
    »Hallo, Sancho, wie geht’s deiner Buchhandlung?«
    Mein Anzug, die Krawatte und der Hut in meiner Hand scheinen ihm gar nicht aufzufallen, wahrscheinlich, weil ihn mein Veilchen viel mehr interessiert. Doch deswegen bin ich nicht hier.
    »Sie kommen bestimmt nicht darauf, weshalb ich hier bin«, beginne ich. »Es ist … in Getxo wurde vor zehn Jahren ein Verbrechen begangen, das noch immer nicht aufgeklärt ist.«
    Seine Augen zwinkern irritiert.
    »Ah … ja, ich erinnere mich … die Zwillinge, und einer von ihnen … Nimm doch Platz.«
    Ich gehorche.
    »Sie kaufen bei uns hin und wieder Romane.«
    »Ja, aber wirklich nur gelegentlich.«
    »Einmal haben Sie ›Der Malteser Falke‹ mitgenommen.«
    »Stimmt … Ich habe eine Schwäche für spannende Geschichten.«
    »Nun, ich bin heute nicht wegen einer fiktionalen Geschichte hier, sondern wegen der Wirklichkeit.« Er hebt dieAugenbrauen. Es ist ihm anzusehen, dass er mich nicht versteht. »Ich bin nämlich neuerdings Privatdetektiv.«
    »Ah ja, sehr … interessant.«
    Hält er mich für verrückt und drückt gerade den Alarmknopf unter seinem Tisch?
    »In jener Nacht hat Sie Tomasón Zalla zu dem Unglücksort geholt.«
    »Es war schon früher Morgen.«
    Er erinnert sich tatsächlich.
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wiederzugeben, was Sie dort gesehen haben? In einem Roman muss es leider immer jemanden geben, der aufdringliche Fragen stellt.«
    Kurz stutzt er. »In einem Roman? … Aber nein, frag ruhig. Das ist mir sehr sympathisch, dass du so gerechtigkeitsliebend bist.«
    »Es ist weniger die Gerechtigkeit als die Literatur, die mich dazu antreibt.«
    Ich fürchte, sein Finger liegt immer noch auf dem Alarmknopf. Doch nein, er steht auf und tritt an die Balkontür, wo er mit mir zugewandtem Rücken zusieht, wie es draußen dunkel wird.
    »Es ist dir wirklich hoch anzurechnen, dass du diese durch den Krieg in Vergessenheit geratene Geschichte wieder aufrollst. Es beleidigt schließlich unser aller Rechtsgefühl, dass jemand, der auf so grausame Weise zwei junge Männer umbringen wollte, noch immer frei herumläuft – sofern er den Krieg überlebt hat. Weißt du, als Arzt sehe ich den ganzen Tag viel Leid, aber das damals war anders, das war kein Unfall.« Als er sich zu mir umdreht, wirkt er noch viel ernster als zuvor. »Sie hatten die beiden nebeneinander in den Sand gelegt, als wären es zwei Leichen. Aber der rechts lebte und starrte mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen vor sich hin. ›Es ist Leonardo Altube‹, sagte Antimo Zallazu mir, der noch die Säge in der Hand hatte. ›Ich habe ihn gefragt.‹«
    »Sie meinen, Eladio Altube«, berichtige ich ihn.
    »Nein, Leonardo. Ich selbst habe ihn später noch einmal gefragt … Aber zuerst versuchte ich den anderen noch wiederzubeleben. Mit Mund-zu-Mund-Beatmung, Herzmassage, minutenlang. Es war leider nichts mehr zu machen«, murmelt er bedrückt. »Weißt du, in solchen Situationen fühlt sich ein Arzt immer wie ein kläglicher Versager … Es wurde mir ganz schwer ums Herz, wie ich den jungen Kerl da liegen sah … und obwohl er es nicht mehr hören konnte, sagte ich leise: ›Es tut mir so leid, Eladio.‹«
    »Leonardo.«
    »Warte … Danach kniete ich mich neben den anderen, riss sein Hemd auf, beugte mich über seine unverständliche Worte brabbelnden Lippen, um mich zu vergewissern, dass er noch atmete, tastete am Hals nach seinem Puls, fragte ihn dann, wie er heiße – und da glaubte ich, den Namen Leonardo zu vernehmen.«
    Ich wage nicht, ihm ein drittes Mal zu

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