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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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die Entscheidung überstürzt, jedenfalls wächst meine Unruhe mit jedem Schritt. Wenn an der alten Legende der Gründungsväter von Getxo etwas dran ist, so ist Roque Altube jedenfalls ein würdiger Nachfahre des allerersten Altube. Mit seinen achtzig Jahren ist er der Inbegriff eines erdverbundenen, traditionsbewussten und aufrechten Basken, fast ein Relikt aus vergangener Zeit – was aber nicht heißt, dass er der Gegenwart und ihren Problemen nicht aufgeschlossen gegenübersteht; so war er vor Jahren beispielsweise die treibende Kraft bei der Gründung der ersten Arbeitergewerkschaft von Getxo und nahm in seinem hohen Alter sogar noch am Krieg teil. Darüber hinaus ist er der Vater von acht Kindern, wobei jeder sich fragt, wie ein solch gesunder Stamm zwei so faulende Triebe wie die Zwillinge hatte hervorbringen können, die so gar nichts von seinem Wesen geerbt haben.
    Es ist später Nachmittag, als ich zwischen frisch abgeernteten Maisfeldern zu Altubes Hof Basaon spaziere, der auf einem Hügel an der Ortsgrenze zu Berango liegt. Es weht ein leichter Wind, der mich den Duft von Heu, Feigen und Äpfeln einatmen lässt. Schon von Weitem ist das alte Gehöft mit dem großen, roten Satteldach zu sehen, auf dem so manch brüchiger Ziegel ausgetauscht werden sollte.
    Vor dem Hoftor sitzen einige Altubes schwatzend um einen Berg Maiskolben herum, die sie aus ihren Hüllblättern schälen. Als sie mich entdecken, verstummen sie augenblicklich.
    »Guten Tag«, murmele ich schüchtern in die Stille hinein.
    »Hallo.«
    »Ha-hallo.«
    Nur zwei haben meinen Gruß erwidert; nachdem Koldobike vorhin noch schnell meinem Gedächtnis nachgeholfen hat, müssen das Roques Frau Madia und ihre stotternde Tochter Cenobia sein.
    »Entschuldigen Sie, ich würde gern mit Roque sprechen.«
    »Ca-caruso, la-lauf und hol O-opa«, trägt Cenobia einem Jungen im Erstkommunionsalter auf – wahrscheinlich der Sohn, den sie nicht von ihrem Mann Manolito hat, sondern von einem italienischen Schwarzhemd im Krieg – und wendet sich dann wieder den anderen zu, die nun nicht mehr so laut plaudern, dafür aber hin und wieder verstohlen auf meine korrekt gebundene Krawatte blicken.
    Die Frau, die neben dem einfältigen Manolito sitzt und mich kess ansieht, muss die noch unverheiratete Tochter Anastasia sein. Und die neben ihr, die als Einzige lächelt, wahrscheinlich Antonia, die sechs Jahre auf Roques Sohn Pelayo gewartet hat, bis nach seiner Entlassung aus dem Strafbataillon endlich die Hochzeit stattfinden konnte … Und da kommt auch schon Roque Altube auf mich zu, der sich mit dem Ärmel seines karierten Hemds den Schweiß von der Stirn wischt.
    »Hallo, was gibt’s?«, fragt er geradeheraus.
    Seine sonore Stimme klingt herzlich. Ich räuspere mich.
    »Guten Tag, Roque. Ich bin Sancho, der Sohn von Vicente Bordaberri, den man 1939 erschossen hat.«
    Mich ihm als Samuel Esparta vorzustellen, bringe ichnicht fertig, denn für solches Blendwerk hat er sicher nichts übrig. Wortlos nickt er.
    »Ich würde gern kurz mit Ihnen über Ihre Söhne Eladio und Leonardo sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Wieso sollte es das?«, antwortet er hastig und winkt mir dann, ihm zu folgen, einen schmalen Pfad entlang bis zu einem umgestürzten Baumstamm, auf dem er sich niederlässt.
    »Hier lässt es sich besser reden«, sagt er und bedeutet mir, mich neben ihn zu setzen. »Mir ist bereits zu Ohren gekommen, was du gerade so treibst. Irgendwann musste das ja kommen. Zehn Jahre und drei Monate ist das nun schon her …«
    Schlagartig wird mir bewusst, dass neben mir ein Vater sitzt, der nicht vergessen kann, der jeden Tag daran denkt, was damals geschehen ist.
    »Irgendwer musste sich einmal rantrauen«, sage ich behutsam.
    »Zum Glück bist du keiner von der Siegerseite des Kriegs.« Er beugt sich nach vorn und reißt einen verdorrten Zweig vom Stamm. »Seit zehn Jahren grübele ich nun schon darüber nach. Vor allem nachts. Wenn ich mich schlaflos im Bett wälze, überlege ich, welcher ihrer Feinde es gewesen sein könnte. Und sie hatten viele Feinde«, erklärt er mit einem bitteren Zug um den Mund. »Angefangen hat alles damit, dass sie Efrén Baskardo betrogen, worauf er sie in hohem Bogen rausgeschmissen hat. Da waren sie noch blutjung. Aber Efrén war’s nicht, der hat für so etwas keine Zeit.«
    »Vielleicht hat er ja einen anderen dafür bezahlt.«
    »Nein, wichtige Dinge überlässt sein Clan keinem Dritten, und ich weiß, was ich sage:

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