Nur Ein Toter Mehr
weißt du, was ich da gemacht habe? Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen, ihn so angefunkelt, dass er die Augen beschämt niedergeschlagen hat, und dann gebrüllt: ›Ich habe den besten Chef, den eine kleine Sekretärin wie ich sich nur wünschen kann! Und ich würde selbst dann noch für Sam arbeiten, wenn ich ihn dafür bezahlen müsste, so viel bringt er mir bei!‹ Worauf der von Continental nur gehöhnt hat: ›Was bringt er dir denn bei? Dass man Verdächtige mit Samthandschuhen anfasst? Ich will dir mal eins sagen, Puppe: Man könnte das kalte Kotzen kriegen bei dem Eiertanz, den er um sie vollführt. Er hat nicht den leisesten Schimmer, wie man mit Gaunern verfährt.‹ … Bevor ich es vergesse: Weißt du, wer vorhin da war?«
»Der Bürgermeister, schätze ich mal. Weil er mich als Straßenkehrer anstellen will.«
»Deine Witze waren auch schon mal besser.« Missbilligend schüttelt sie den Kopf. »Nein, Bidane, die Frau von …«
»Ich weiß, wer Bidane ist«, unterbreche ich sie.
»›Ich will nicht, dass meinem Mann etwas zustößt‹, hat sie zu mir gesagt, ›und er befindet sich in großer Gefahr. Ich würde gern wissen, ob ich was für ihn tun kann, vielmehr … ob ich als Ehefrau die Pflicht habe, mich für meinen Mann aufzuopfern, dem ich vor Gott die Treue geschworen habe. Ich brauche einfach jemanden, der mir sagt, was ich tun soll.‹«
»Sie wollte also mit mir reden.«
»Nein, sie wollte sich eindeutig einer Frau anvertrauen … Sie wirkte völlig verstört.«
»Anscheinend sind meine Figuren gerade alle unheimlich nervös. Und für meinen Roman ist das nicht das Schlechteste.«
15 Schritte und Zeiten
An der gegenüberliegenden Hausecke vorbei, fallen an einem so schönen Morgen wie heute die Sonnenstrahlen genau auf meine Buchhandlung. Die leicht angewärmte Türklinke herunterzudrücken und dabei mein Spiegelbild in der glitzernden Glasscheibe aufblitzen zu sehen ist schon mal ein vielversprechender Anfang für diesen Tag.
Auf einmal höre ich hinter mir jedoch ein ungewohntes Geräusch und drehe mich um. Und was ich da sehe, verschlägt mir den Atem: Vor mir am Straßenrand hält eine Karosse wie aus einem Kinofilm. Ein Mercedes-Benz? … Oder ein Jaguar? Ein Alfa Romeo? … Keine Ahnung. Meine Idole hätten das sicher gewusst. Die Erkenntnis, dass ich Landei von Automarken keine Ahnung habe, hätte mich sicher verdrießlich gestimmt – wäre in dem Augenblick nicht ein Admiral aus dem Nobelschlitten gestiegen, der sich gleich äußerst liebenswürdig an mich wendet.
»Ist dies die Buchhandlung von Señor Bordaberri?«
Völlig baff nicke ich und halte ihm die Tür auf.
»Ja … äh, bitte …«
Für gewöhnlich lassen wir unsere Kunden sich in Ruhe umschauen, aber Koldobike begreift sofort, dass der Admiral, der beim Eintreten seine marineblaue Mütze abgenommenhat, in einem anderen Anliegen kommt, und eilt dienstbereit auf ihn zu.
»Ihre Erlaucht Don Efrén Baskardo schickt mich mit diesem Schreiben für Señor Bordaberri«, erklärt er, während er einen lachsfarbenen Umschlag aus der Innentasche seiner mit goldenen Litzen besetzten Uniformjacke zieht.
Koldobike ist ebenso perplex wie ich, sodass sie nur stumm die Hand ausstrecken kann. Höflich ablehnend schüttelt der Admiral jedoch den Kopf.
»Nein, ich muss es ihm höchstpersönlich überreichen.«
Zum Glück hat Koldobike ihre Sprache wiedergefunden.
»Hinter … hinter Ihnen steht er«, stammelt sie beflissen.
Daraufhin drückt der Admiral mir den Umschlag in die Hand, verabschiedet sich mit einem knappen Kopfnicken erst von Koldobike und dann von mir, und schon braust er mit einem aristokratischen Motorenbrummen über die Avenida del Ejército davon.
Noch immer völlig überrascht sehen Koldobike und ich uns kurz an, dann drängt sie mich, den Brief aufzumachen, da sie vor Neugier platzt.
Noch nie habe ich einen Umschlag mit solcher Andacht geöffnet. Das Briefpapier ist ebenfalls lachsfarben.
»Aurelio Altube hat eine schöne Schrift«, sagt Koldobike, ehe sie überhaupt einen Blick darauf hat werfen können, denn ganz Getxo weiß, dass Roque Altubes Sohn seit vielen Jahren Baskardos Sekretär ist.
»Natürlich ist die schön«, entgegne ich trocken, »schließlich hat er den Brief mit der Maschine geschrieben. Sie ist bestimmt besser als meine Underwood, allerdings besitzt sie auch keine unterschiedlich weiten Abstände für das i und das m und …«
»Mein Gott, jetzt lies endlich!«,
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