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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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interessiert nämlich besonders der Strand, und dort könnten Sie sie mir dann direkt an Ort und Stelle zeigen.«
    Larrea richtet sich auf. »Mit Vergnügen!«
    An der Tür lasse ich ihm den Vortritt, als ich zwei Pfeile in meinem Rücken spüre, sodass ich mich schnell noch einmal umdrehe; ich werde wohl nie verstehen, wie man mit zusammengepressten Lippen noch reden kann.
    »Du weißt schon, Chef, dass aus deinem Krimi so nichts wird.«
     
    Am Auslauf der Brandung lassen vier Jungen flache Kiesel über die Wasseroberfläche hüpfen. Luis Federico Larrea hat den ganzen Weg hinunter zum Strand über die Vorzüge seiner neuartigen Landkarten doziert:
    »Für diejenigen, die sich mithilfe eines Autos, der Straßen-oder Eisenbahn fortbewegen, gibt es längst die entsprechenden Karten. Aber was für eine Karte soll ein Arbeiter zur Hand nehmen, der vielleicht querfeldein zur Arbeit geht? Oder eine Milchfrau, die von Haus zu Haus ihre kostbare Ware verkauft? Wäre es für sie nicht segensreich, zu wissen, wie viele Schritte und vor allem wie viel Zeit sie dafür benötigen?« Kurz war ich versucht, ihm zu erklären, dass die beste Uhr der Milchfrau die Angst sei, dass ihre kostbare Ware unterwegs sauer wird, ließ es dann aber bleiben, um seinem eifrigen Vortrag keinen Dämpfer aufzusetzen. »Niemand wird mich so gut verstehen wie die älteren Herrschaften«, fuhr er fort, »die viel spazieren gehen, so wie ich mit meinen über fünfzig Jahren. Wenn der Arzt einem jeden Tag drei bis vier Kilometer Fußmarsch verordnet, dann fragt sich ein gewissenhafter Patient doch als Erstes, wie viele Schritte das zusätzlich zu der täglich zurückgelegten Strecke sind vom Bett ins Bad und in die Küche, durch den Hausflur in den Garten und zur Stammkneipe. Und meine Karten sagen es ihm, das heißt, ich habe die menschlichsten Karten erstellt, die je erdacht worden sind!«, beendet er euphorisch seine Ausführungen, da wir inzwischen am Strand angekommen sind. »Übrigens: Eine auffällige Erscheinung, Ihre Angestellte. Hat der Pfarrer ihr noch nicht mit der ewigen Verdammnis gedroht, wenn sie nicht einen anderen Rock anzieht?«
    Der Sand ist trocken, unsere Füße sinken tief darin ein. Und das ist etwas, was ich bisher noch gar nicht bedacht habe: Wie war der Sand in jener Nacht wohl beschaffen? Je nachdem hat Lucio Etxe ja vielleicht länger gebraucht als gedacht …
    Luis Federico Larrea weiß noch nicht, wieso ich ihm einen Strandspaziergang vorgeschlagen habe. Wir haben inzwischen genau die Stelle unterhalb der Klippe von La Galea erreicht, wo seinerzeit die Zwillinge gelegen haben müssen.
    »Was für eine großartige Szenerie!«, ruft Larrea aus, während er sich umsieht und dabei begierig die frische Meeresluft einatmet.
    »Und genau dafür brauche ich Ihre Hilfe«, erkläre ich ihm. »Ich wüsste nämlich gern, wie viele Schritte man von hier bis zum Beginn der asphaltierten Straße nach Cuatro Caminos und von dort hoch zur Schmiede der Zallas braucht. Und das Ganze dann natürlich auch wieder zurück, bergabwärts kommt da sicher etwas anderes heraus. Das heißt, im Grunde geht es mir nicht so sehr um die Schritte als um die dazugehörige Zeit, je nachdem, ob man schnell oder langsam geht. Die Frage ist also: Haben Sie bei Ihren Karten mit zweierlei Maß gemessen?«
    »Was denken Sie denn!«, empört er sich.
    Schnell entschuldige ich mich. »Ich wollte Sie nicht kränken, Señor Larrea, es schmälert Ihre Leistung auf keinen Fall, wenn Sie die unterschiedlichen Gehzeiten bisher nicht in Betracht gezogen haben, schließlich …«
    »Natürlich habe ich das bedacht!«, schneidet er mir mit einem stolzen Lächeln das Wort ab. »Es ist so, als hätte die göttliche Vorsehung an Sie gedacht, als sie mich auf den Gedanken brachte. Ich habe alles, was Sie brauchen. Ich habe diese Varianten zwar nicht in die Karten eingetragen, aber wenn Sie die Zahl mit dem regulativen Faktor 0,87 multiplizieren,haben Sie das gewünschte Ergebnis. Um ihn festzulegen, habe ich meinen zwölfjährigen Neffen, einen Rekordläufer und meinen vierundachtzigjährigen Großvater jede der Strecken noch einmal rennen lassen und daraus dann den Mittelwert errechnet.«
    Er bittet mich, ihm kurz die dicke Mappe zu halten, und nachdem er eine Weile darin herumgeblättert hat, zieht er vier Landkarten heraus und lässt sich auf einem der Steine nieder.
    »Mein Großvater starb leider einen Monat später, aber ich denke, sein Alter und nicht die Anstrengung war

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