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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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Sache komme.
    »Die Kette wurde heute Nacht aus der Eisenwarenhandlung gestohlen. Vielleicht ja in Ihrem Auftrag?«
    Er steckt die Verdächtigung weg, ohne mit der Wimper zu zucken. Menschen wie er stehen immer ein paar Stufen über den anderen.
    »Warum hätte ich das tun sollen?«
    »Um das Beweisstück verschwinden zu lassen, weil es etwas verraten könnte? Vielleicht erinnert sich jemand ja an etwas, wenn er die Kette wieder zu Gesicht bekäme.«
    »Sie sprachen vorhin von der Möglichkeit eines ›tragischen Unfalls‹. Spielt die Kette da auch eine Rolle?«
    »Ja. In dem Fall wäre sie Teil einer intelligent eingefädelten Täuschung, sozusagen die Achse, um die sich alles gedreht hätte. Ich glaube nämlich, dass, wenn irgendwer die Altube-Zwillinge wirklich aus dem Weg hätte räumen wollen, er auf andere Weise mit ihnen abgerechnet hätte, nicht mit so einem empfindlich reagierenden Räderwerk.«
    »Ein Räderwerk? Interessant. Von was für einem ›Räderwerk‹ sprechen Sie, Don Samuel?«
    »Angenommen, die beiden haben nur Theater gespielt und waren so überzeugt davon, dass sie alles bedacht, jedes Rädchen genau justiert haben und nichts schiefgehen kann, dass sie dafür sogar ihr Leben riskierten. Für sie sollte das ein Riesenspaß werden. Aber sie wollten nicht bloß eine Gratisvorstellung von ihrem betrügerischen Talent geben, nein, sie wollten sich bei uns einschmeicheln, unser Mitleid erregen mit dieser raffinierten Farce und so erreichen, dass sie wieder in unserer Achtung steigen. Womöglich war ihr Plan, uns glauben zu machen, dass sie sich bessern wollten. Wer weiß, vielleicht wollten sie sich nicht mehr länger die Finger schmutzig machen, sondern ihre fragwürdigen Geschäfte in Zukunft nur noch aus dem Hintergrund lenken.«
    Ich weiß nicht, warum ich Larrea nun so durchdringend ansehe, was er durchaus registriert, auch wenn er weiterhin schmunzelt.
    »Brechen Sie da nicht etwas vorschnell den Stab über mich?«, sagt er, die Liebenswürdigkeit in Person. »Ja, ich stamme aus einer reich begüterten Familie. Aber mein Vermögen ist groß genug, als dass ich es je nötig gehabt hätte, als Hintermann von wem auch immer zu agieren. Ich bin das, was man gemeinhin einen privilegierten Bürger bezeichnet, und Sie können mir glauben, dass ich mit diesen Brüdern nie etwas zu schaffen gehabt habe.«
    Gut, das war’s dann mit dem Verhör, sein Name ist damit wieder von der Liste gestrichen.
    »Es war wirklich sehr liebenswürdig von Ihnen, Señor Larrea, dass Sie mir Ihre Landkarten gezeigt haben. Die nächste Zahl werde ich selbst herausfinden. Möglicherweise hat sich ja irgendein Wissenschaftler mit der Materie befasst. Obwohl … ich sollte besser gleich meine eigene Messung hier am Strand durchführen.«
    »Sie wollen also ermitteln, um wie viele Zentimeter der Meeresspiegel in neunundvierzig Minuten steigt?«
    Anstelle einer Antwort ziehe ich Schuhe und Socken aus und kremple mir die Hose bis übers Knie hoch für die hundert Meter bis zu Apraiz’ Felsen. Die ersten Wellen rollen bereits träge bis zu der Stelle, wo ich mit Larrea stehe, weshalb ich Schuhe und Socken ein Stückchen weiter oben in Sicherheit bringe.
    »Ich bleibe noch ein bisschen, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, höre ich Larreas Stimme hinter mir. »Mich interessiert Ihr Experiment sehr. Wo genau wollen Sie Ihre Messung durchführen?«
    »An der Felswand, die zum Strand zeigt«, erkläre ich, derweil ich mich nach einem spitz zulaufenden Kieselstein bücke.
    Das Wasser ist kalt, nach wenigen Schritten reicht es mir bereits bis unter die Knie.
    »Warten Sie«, ruft Larrea mir nach. »Nehmen Sie meinen Meterstab mit. Ich verlasse das Haus nie ohne einen.«
    Ich schelte mich im Stillen für meine Vergesslichkeit und kehre kleinlaut zu ihm zurück.
    Apraiz’ Felsen fungiert wie ein Wellenbrecher, weshalb die Wasseroberfläche dahinter noch ziemlich ruhig ist, obwohl meine Füße schon die Strömung der Flut spüren und ich auf dem steinigen Untergrund nur mit Mühe das Gleichgewicht halten kann.
    Am Felsen hat das Wasser meine hochgekrempelten Hosen erreicht. Ich stehe vor einer fünf Meter hohen, nahezu senkrechten Wand, an der ich meine Messung vornehmen will, auch wenn ich von hier aus den Ring nicht sehen kann, den Apraiz auf der zum Meer hin gewandten Seite des Felsens einzementiert hat. Zwischen eineinhalb und zwei Meter dürfte jedes der Kettenenden lang gewesen sein, die um die Hälse der Zwillinge geschlungen

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