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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christos Tsiolkas
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Hugo, der böse Mann ist weg, der böse Mann tut uns nichts mehr.« Nachdem sie die Worte immer wieder vor sich hin gesprochen hatte, schliefen sie irgendwann ein.
    Am nächsten Morgen fand sie Gary ohnmächtig im Wohnzimmer auf dem Fußboden liegend. Der Gestank war dermaßen unerträglich, dass sie sich fast übergeben hätte. Er hatte sich in die Hosen geschissen. Sie half ihm hoch und schleppte ihn ins Bad, wo sie ihm die verdreckten Klamotten auszog und ihn badete. Danach brachte sie ihn ins Bett. Sie stillte Hugo, rief Garys Chef an und erklärte ihm, Gary gehe es schlecht und er könne nicht zur Arbeit kommen. Sie ging mit Hugo in den Park und auf den Spielplatz. Als sie zurückkamen, stand der Wagen vor der Tür, die Schlüssel lagen im Briefkasten. Am Nachmittag rief sie Aisha auf dem Handy an, und als diese anfing, sie zu trösten, brach Rosie in Tränen aus. »Er ist davongekommen, Aish, er ist ungestraft davongekommen.«
    Gary war reumütig und hatte ein schlechtes Gewissen, er rührte bis Freitag keinen Tropfen an. Am Samstagabend machte sie gebackenen Rotbarsch und für Hugo Pommes. Sie saßen gerade vor dem Fernseher und sahen
Charlie und die Schokoladenfabrik
, als Aisha anrief, um zu berichten, dass Shamira und Bilal das Haus in Thomastown bekommen hatten. Es gehörte ihnen.
    »Das freut mich sehr«, sagte sie voller Begeisterung ins Telefon, und obwohl Aisha sie nicht sehen konnte, setzte sie ein breites, strahlendes Lächeln auf. »Das freut mich wirklich sehr für sie«, wiederholte sie. »Wirklich.«

MANOLIS
     
    Es ist schrecklich, einfach nur schrecklich, so jung zu sterben, dachte er, als er das Schwarz-Weiß-Porträt betrachtete. Er rückte die Brille zurecht, kniff die Augen zusammen und richtete den Blick erneut auf das Bild. Der Junge war erst zweiunddreißig. Darunter stand ein kurzer Nachruf. Stephanos Chaklis, zweiunddreißig Jahre alt, Sohn von Pantelis und Evangeliki Chaklis. Unser geliebter Sohn. Die Trauerfeier sollte in der Our Lady’s Church of the Way in Balwyn stattfinden. Keine Frau, keine Kinder. Kein Hinweis darauf, woran der junge Mann gestorben war. Manolis musterte das Foto erneut. Der Mann lächelte träge in die Kamera, sein Haar war kurzgeschnitten, wie bei einem Soldaten. Wahrscheinlich stammte das Bild von einer Hochzeit oder Taufe. Er sah aus, als fühlte er sich unwohl mit seinem hochgeschlossenen Hemd und der engen Krawatte. So ein gut aussehender Bursche, nicht einmal ein Kind hatte er zeugen können. Es ist schrecklich, so jung zu sterben.
    Manolis schaute über die Brille hinweg in den Himmel, dort, wo angeblich das Reich Gottes war. Wenn es einen Gott gab, dann war er ein Narr. Es gibt weder Logik noch Gerechtigkeit in dieser Welt, die Du erschaffen hast, und Du willst ein höheres Wesen sein? Sofort entschuldigte er sich bei der Heiligen Jungfrau für seine blasphemischen Gedanken, ohne sich allerdings für sie zu schämen. Mit seinen neunundsechzig Jahren – Gott sei Dank immer noch fit, abgesehen von gelegentlichen Rheumaanfällen – hatte er mit Religion und Kirche weniger am Hut als jemals zuvor in seinem Leben. Als junger Mann hatte er es nicht gewagt, Gottes Zorn herauszufordern, indem er dessen Absichten in Frage stellte. Jetzt aber war es ihm egal. Scheiß drauf. Es gab weder Paradies noch Hölle, und wenn es einen Gott gab, dann war er mehr als unergründlich.Was zählte, war die kalte, grausame Wahrheit, dass ein junger Mann im Alter von nur zweiunddreißig Jahren gestorben war – ob an Krebs, bei einem Autounfall, durch Selbstmord oder weiß Gott wie. Manolis lief ein Schauer über den Rücken, und er faltete die Zeitung zusammen, um die restlichen Todesanzeigen zu lesen. Das Gesicht des jungen Mannes verfolgte ihn. Er wollte es vergessen.
    Anna Paximidis, achtundsiebzig. Das ging in Ordnung. Anastasios Christoforous, dreiundsechzig. Kein hohes Alter, allerdings sah er auf dem Foto ziemlich fett und ungesund aus. Zu viel Dolce Vita, Anastasios. Dimitrios Kafentsis, zweiundsiebzig. Schön, schön – das war ein angemessenes Alter, genug, um etwas vom Lebensabend mitzubekommen, aber noch nicht so alt, dass der Körper in nutzlose Abhängigkeit zerfiel. Denn das war seine größte Angst.
    Plötzlich hörte er die kreischende Stimme seiner Frau und ließ die Zeitung sinken. »Manoli«, brüllte sie, laut genug, um die Toten zu erwecken. »Willst du Kaffee?«
    »Ja«, knurrte er.
    Wieder Gekreische. »Was?«
    »Ja«, rief er, diesmal lauter. Dann

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