Nur eine Ohrfeige (German Edition)
widmete er sich wieder der Zeitung.
Thimios Karamantzis. Kein Foto. Nur das Todesalter. Einundsiebzig Jahre alt. Die Trauerfeier sollte in Doncaster stattfinden. Um ihn trauerten seine Frau Paraskevi, seine Kinder Stella und John und seine Enkel Athena, Samuel und Timothy. Manolis legte erneut die Zeitung weg und rechnete kurz nach. Das Alter kam hin. Thimios war nur ein paar Jahre älter als er. Und was Doncaster betraf, wer zum Teufel wusste schon, wohin es die Leute verschlagen hatte? Sie hatten sich in die hintersten Winkel dieser viel zu großen Stadt verstreut. Es musste Thimios sein. Derselbe Nachname, eine Frau namens Paraskevi. Natürlich. Wie lange war es her, dass sie sich zuletzt gesehen hatten? Manolis verfluchte sein immer schlechter werdendes Gedächtnis. Denk nach, schimpfte er.War es bei Elisavets Taufe? Oh Gott, oh Gott, über vierzig Jahre war das her.
Seine Frau brachte ihm den Kaffee raus und setzte sich auf den alten Küchenstuhl, der auf die Veranda verbannt worden war, als die Kinder noch zu Hause wohnten. Die Plastikpolster hatten Generationen von Katzen zerfetzt, die Beine sahen vor lauter Rost fast golden aus, aber Koula und er brachten es nicht übers Herz, sich von ihm zu trennen. Er war seit ihrem ersten Haus im Norden von Melbourne bei ihnen. Sie schnappte sich das Titelblatt der
Neos Kosmos
, fing an zu lesen und pustete dabei vorsichtig in ihren Kaffee.
»Was steht in der Zeitung?«
»Ich hab mir nur die Todesanzeigen angeschaut«, grummelte er.
»Lies sie mir vor.«
Manolis begann zu lesen, langsam, ein Auge auf seine Frau gerichtet.
Sie stöhnte traurig, als sie vom Tod des Zweiunddreißigjährigen erfuhr. Anders als Manolis verfluchte sie nicht Gott, sondern beklagte die Ungerechtigkeit des Schicksals. Als er Thimios’ Namen vorlas, suchte er vergeblich nach einer Regung in ihrem Gesicht. Also ging er zur nächsten Anzeige über, und plötzlich schnappte sie nach Luft. Er hielt inne und blickte seine Frau über den Brillenrand an.
»Manoli, glaubst du, das könnte Thimios aus Ipeiros sein?«
»Könnte sein, ja.«
»Der arme Kerl.«
Sie saßen schweigend da, beide in ihren jeweiligen Erinnerungen versunken. Manolis und Thimios hatten zusammen bei Ford gearbeitet und dem Job ihre Jugend geopfert. Thimios war ein echtes Arbeitstier, aber vor allem ein guter Freund gewesen. Die besten Partys, die besten Abende fanden bei ihm statt, denn er war ein großzügiger und ausgelassener Gastgeber. Seine Frau Paraskevi, eine hinreißende, slawisch aussehende Brünette, war genauso lebendig wie er, und sie liebte es, ihre Gäste zu unterhalten. DasHaus war immer voller Musik. Thimios spielte Gitarre und schnappte sich häufig Koula, damit sie mit ihm sang. Manolis hatte nie viel für diesen Folklorequatsch übriggehabt, das alberne Gejammer über Adler, Schafhirten und irgendwelche gottverlassenen Felsbrocken, aber seine Frau hatte, als sie jung war, eine mitreißende Stimme gehabt. Bei Thimios hatte er Koula kennengelernt. Zuerst hatte er sie kaum beachtet – sie war zwar ganz hübsch, aber ein bisschen zu klein für seinen Geschmack, jedenfalls nicht sonderlich anders als die vielen anderen Dorfmädchen, die damals schiffeweise nach Australien gekommen waren. Doch dann hatte er sie singen gehört. Wenn sie in ein Lied versunken war, lächelte sie selig wie das Glück selbst. Ihre Stimme war klar und aufrüttelnd, wie Quellwasser, das den Berg hinabfließt, wie die ersten warmen Sonnenstrahlen im Sommer.
Als sie am Montag darauf am Fließband standen, hatte er Thimios nach ihr gefragt.
»Sie ist ein gutes Mädchen. Und hübsch.«
Sie mussten gegen den Lärm der Maschinen anbrüllen.
»Ein bisschen klein.«
»Was zum Teufel willst du eigentlich, Manoli, eine Deutsche? Koula ist ein hübsches Mädchen und eine gute Hausfrau. Paraskevi kannte ihre Familie in Griechenland. Sie kommt aus gutem Hause.«
Am nächsten Wochenende hatten Paraskevi und Thimios schon wieder eine Party organisiert. Manolis redete kaum mit Koula, aber er beobachtete sie genau. Sie sah gut aus, nicht wie Sophia Loren, aber wenn sie lächelte, war sie reizend. Außerdem hatte sie Persönlichkeit und Herz, das merkte man sowohl an ihrem Gesang als auch an der Art, wie sie den Männern widersprach und mit ihnen stritt. Später fragte Manolis Thimios bei der Arbeit über ihre Familie aus.
»Was soll ich dir sagen? Soweit ich weiß, sind es anständige Leute aus einem Dorf in der Nähe von Joannina, aus dem
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