Nur eine Ohrfeige (German Edition)
vielsagenden Blick.
Der Tod kam immer näher, er holte sie alle. Wie die Hasen versuchten sie, der Flinte des Jägers zu entkommen. Das menschliche Dasein kannte keine Würde. Jedenfalls nicht am Ende.
Aber Dimitris und Georgia Portokaliou waren nicht tot. Thanassis runzelte die Stirn. »Niemand hat mehr Kontakt zu ihnen. Hast du nicht gehört, was mit Gianni passiert ist?«
Manolis versuchte, sich zu erinnern. Ihr Sohn, das einzige Kind. Georgia war bei der Geburt fast gestorben, so viel Blut hatte sie verloren. Stimmte das? Koula wusste es bestimmt noch. War es nicht so, dass sie danach keine Kinder mehr bekommen konnte?
»Nein, was denn?«
»Er wurde erschossen. Vor zehn Jahren. Am helllichten Tag. Vor seinem Haus in Box Hill. Eine Kugel in den Kopf, und tot war er.«
Manolis konnte nicht anders, er musste sich dreimal bekreuzigen. »Warum?«
Thanassis schwieg.
»Drogen«, sagte Sotiris.
»Das wissen wir nicht.«
»Was sollte es sonst gewesen sein, Thanassi?«
»Geld. Sex. Keine Ahnung.«
Sotiris schüttelte den Kopf. »Nein. Es war die Mafia. Das war organisiert.« Er sah Manolis an. »Du hast nichts davon gehört? Es stand in der Zeitung.«
»Vielleicht war ich nicht da. Vielleicht war ich in Griechenland.«
»Scheiß drauf.« Thanassis zielte und warf auch die nächste Kippe über den Nachbarszaun. »Egal, was der Grund war, es ist eine tragische Geschichte, so etwas hat niemand verdient.«
In Gedanken versunken gingen die Männer zurück ins Haus. Manolis erinnerte sich nur noch, dass Giannis – hatten sie ihn nicht Little Johnny genannt? – eigentlich immer Dreck im Gesicht und an den Händen gehabt hatte, wahrscheinlich, weil er wie ein Weltmeister geklettert war. Hatte Ecttora nicht eines Tages einen Ball auf das Dach vom Italiener geschossen, und Little Johnny war den Baum hochgeklettert, hatte sich aufs Dach geschwungen, war heldenhaft die steil abfallenden Ziegel hochgestiegen und hatte sich den Ball geschnappt, der wie durch ein Wunder oben auf dem abgeflachten Kamm liegen geblieben war? Signora Uccello war schreiend aus dem Haus gerannt, erst vor Wut, dann aus Angst, Giannis könnte sich auf ihrem Dach verletzen. Und waren dann nicht auch all die anderen klagenden Mütter aus ihren Häusern gekommen, um zu sehen, was los war? Auch ihm war das Herz stehen geblieben. Hatte nicht auch sein eigener Sohn mit offenem Mund neben ihm gestanden? Mit einem triumphierenden Strahlen und dem Ball in der Hand hatte Giannis sich zu ihnen umgedreht. »Hector! Ich hab ihn!« Soweit er sich erinnern konnte, hatte Signora Uccello angefangen, kaum dass Giannis wieder unten war, ihn auf Italienisch zu beschimpfen, auch Georgia kam angerannt, nahm ihren Sohn in die Arme und verpasste ihm gleich darauf eine schallende Ohrfeige. Der Junge hatte seine Mutter entsetzt angesehen, mit blutiger Lippe, und dann hatte er den Ball fallen gelassen und angefangen zu weinen. Manolis wusste noch, wie Ecttora sich ängstlich hinter ihm geduckt hatte. Keine Angst, mein Junge, hatte er gesagt, dir passiert nichts. Es war ein besonderes Gefühl gewesen, wie sein kleiner Sohn sich an seinem Hosenbeinfestgehalten und Zuflucht hinter seiner Größe und Stärke gesucht hatte, damit er ihn vor dem Zorn der hysterischen Frauen beschützte. Das war lange her. Und jetzt war Giannis tot, von Schnecken und Maden zerfressen. War das nicht Beweis genug für Gottes unfassbare Grausamkeit, dass er, Manolis, lebte und Little Johnny tot war?
»Hallo?«
Wie lange schon hatte er Athena angestarrt und dabei durch sie hindurch in die Vergangenheit zurückgeblickt? Wie lange schon hatte sie auf eine Reaktion von ihm gewartet? Als er wieder zu sich kam, stellte er fest, dass die anderen aufgehört hatten zu reden und in seine Richtung sahen. Er saß auf seinem Stuhl neben Thanassis, genau wie vorhin.
»Um Gottes willen, jetzt antworte dem Mädchen schon«, sagte seine Frau ungeduldig.
»Entschuldige«, sagt er leise zu Athena und fummelte an seinem Kragen herum. Mit einem Ruck lockerte er die Krawatte und holte tief Luft. Er war immer noch durcheinander. »Was hast du mich gefragt?«
»Möchten Sie noch etwas trinken?«
»Noch einen Whisky.«
»Manoli?«, warnte Koula ihn. Er ignorierte sie. Was er eigentlich brauchte, war ein Bier. Diese schwachsinnigen Sitten, alles nur ihrem dämlichen Gott zuliebe.
Thanassis legte ihm den Arm um die Schulter. »Wir werden alle alt, Manoli, aber dass du mir ja nicht schrullig wirst.«
Als Koula
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