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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christos Tsiolkas
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nicht bewusst war, wie ungehörig sie sich verhielten. Die jungen Frauen dagegen schienen Erwachsenen grundsätzlich zu misstrauen. Es hatte ihn jedes Mal wütend gemacht, am liebsten hätte er ihnen die Ohren langgezogen. Das sah er jetzt anders. Er empfand Mitleid mit ihnen. Sie waren ohne Vater aufgewachsen, niemand hatte ihnen beigebracht, was Achtung und Respekt bedeuteten. Die Mutter war alles, natürlich, das wusste jeder: Frauen schenkten Leben. Aber sie waren zu selbstbezogen, um ihren Kindern beizubringen, Achtung vor anderen zu haben. Das junge Paar tat ihm leid.
    Das ist nicht gut, dachte er, das ist gar nicht gut. Irgendetwas stimmt nicht mit der Welt, wenn die Alten die Jungen bemitleiden.
    »Du bist ja ganz in Gedanken versunken.«
    Er küsste seine Schwiegertochter zweimal auf die Wange. Sie roch nach Seife. Wie immer sah sie wunderschön aus und war schlicht, aber elegant gekleidet. Er war stolz auf sie. Als Kind hatte Manolis so gut wie keine Ahnung von guten Manieren und Kultiviertheit gehabt. Seinen ersten Film hatte er in Patras gesehen, als er Urlaub von der Armee hatte, eine französische Komödie, die irgendwann vor langer Zeit spielte. Ein Mann mit Schnurrbart hatteeiner Frau einen Handkuss gegeben, eine Geste, über die der junge Manolis sich totgelacht hatte. »Was zum Teufel macht der da«, hatte er zu seinem Kameraden gesagt, »glaubt der Idiot vielleicht, die Frau ist ein Priester?« Aber als Ecctora ihm Aisha vorgestellt hatte, war ihm die Szene eingefallen, und er hatte das Bedürfnis verspürt, ihr die Hand zu küssen.
    »Wie war es bei der Arbeit?«
    »Freitags ist immer viel los.« Aisha legte die Jacke über den Stuhl und setzte sich. Sie sah sich nach einem Kellner um und bestellte. »Hector hat mir erzählt, ihr seid gestern bei einer Beerdigung gewesen. Tut mir leid. War es jemand, der euch nahestand?«
    Manchmal hatte er das Gefühl, dass ihre tief liegenden Augen zu groß für ihr Gesicht waren.
    »Ein alter Freund. Was soll man sagen? Wir müssen alle sterben.«
    »Litt er an Krebs?«
    Er nickte.
    »Hector kann sich kaum an ihn erinnern. Aber er meinte, als er geboren wurde, hättet ihr alle zusammen gewohnt. Stimmt das?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Tut mir wirklich leid«, wiederholte sie.
    Ihr Kaffee kam, und sie schwiegen eine Weile. Sie waren noch nie irgendwo nur zu zweit gewesen, die Situation war ihm unangenehm. Wahrscheinlich erging es ihr genauso. Er bekam einfach den Mund nicht auf. Wie er feststellen musste, hatte er sich nicht im Geringsten auf das Gespräch vorbereitet. Von Anfang an hatte er sich gut mit Aisha verstanden. Sie hatten nie viel miteinander geredet, da Aisha kein Griechisch sprach und er sich selbst noch nach so langer Zeit manchmal nicht richtig auf Englisch verständlich machen konnte. Aber das war unwichtig. Sie hatten sofort Vertrauen zueinander gefasst, und dafür waren sie beide dankbar. Es gab ihnen die Möglichkeit, sich von Koulas Zorn und Hectors Starrköpfigkeit zu distanzieren. Eigentlich hatte Manolis sich vorgestellt, Aisha davon zu überzeugen, doch zu Harrys Feier zu kommen. Er hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie ihnliebte. Sie würde bestimmt einwilligen. Aber jetzt, als er sie ihren Kaffee schlürfen sah und ihren fragenden Blick bemerkte, war er sich seiner Sache nicht mehr so sicher. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte.
    »Manoli, warum wolltest du dich mit mir treffen?«
    Ihr Blick verriet nicht viel. Dennoch schien sie ihn zu durchschauen. Sie wusste genau, was los war.
    »Aisha, ich möchte, dass du zu Harrys Geburtstagsfeier kommst.«
    Sie stellte die Tasse auf den Tisch.
    »Bitte«, fügte er schnell noch hinzu.
    »Ich dachte mir schon, dass es darum geht.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, auf keinen Fall.«
    Er versuchte, in ihren Augen zu lesen, diesen dunklen, faszinierenden Katzenaugen. Sie waren unergründlich. Bemitleidete sie ihn? War sie wütend auf ihn?
    »Was er getan hat, war falsch, es war schlimm, sehr schlimm, es war ein Fehler. Er bedauert es sehr. Bitte, Aisha, du tust Adam und Melissa keinen Gefallen. Sie wollen Rocco besuchen, sie sind Cousins …«
    »Sie können ihre Cousins sehen, wann immer sie wollen«, erwiderte sie und verschränkte die Arme. »Ich hindere sie nicht daran.«
    »Für Hector ist es auch nicht leicht.«
    »Hector versteht mich.«
    Was verstand Hector? Wie konnte sie immer noch so wütend sein? Für mich ist es auch nicht leicht, hätte er antworten sollen, ich habe

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