Nur eine Ohrfeige (German Edition)
blind sein, das Unverzeihliche verteidigen zu wollen? Diese Rosie, diese Verrückte hätte ihren Sohn selbst züchtigen müssen. Und wenn nicht sie, dann ihr Mann, dieser lächerliche Alkoholiker. Harry war kein Heiliger, das wussten sie alle, bei weitem nicht, aber zum ersten Mal seit jenem Vorfall glaubte Manolis, dass sein Neffe unschuldig war.
Aisha hatte sich abgewandt.
»Du gehst nächste Woche zu der Party.«
Sie drehte sich ungläubig zu ihm um. Er meinte, kurz ein erstauntes Lächeln in ihrem Gesicht zu sehen. »Auf keinen Fall.«
»Doch, du gehst.«
»Nein.«
»Doch.« Er würde darauf bestehen, so lange, bis sie nachgab. Er hatte recht. Niemals zuvor in seinem Leben hatte er so sehr recht gehabt. Er sah das Feuer in ihren Augen auflodern.
»Du bist nicht mein Vater.«
Wie gern hätte er sie geohrfeigt. Das alles bedeutete also nichts, all die Jahre, in denen sie gemeinsam gelacht hatten, ihre Zuneigung zueinander, dass er sie verteidigt hatte, auf ihre Kinder aufgepasst, Hector und ihr Geld geliehen, ihnen seine Zeit geopfert hatte. Bedeuteten ihr Liebe und Familie denn gar nichts? Für sie zählte nur ihr Stolz. Hielt sie sich vielleicht für mutig, weil sie sich ihm widersetzte? Sie, Hector, der ganze verrückte Haufen, sie alle hatten keine Ahnung, was es bedeutete, mutig zu sein. Ihnen war alles geschenkt worden, sie waren der Meinung, alles stünde ihnen zu. Sie glaubte sogar, es sei eine Frage der Ehre, wenn sie ihre Freundin verteidigte. Ein Krieg, eine Bombe, ein Schicksalsschlag, und sie würde zusammenbrechen. Er bedeutete ihr nichts, weil sie wie alle anderen nur an sich selbst dachte. Sie hatte keine Ahnung vom Leben und hielt deswegen ihr kleines Drama für bedeutend. Diese durchgeknallten Moslems hatten recht. Am besten manwarf eine Bombe in dieses Café und sprengte den ganzen Haufen in die Luft. Ihre Schönheit, ihre Kultiviertheit, ihre Bildung, das alles war unwichtig. Sie kannte weder Demut noch Großzügigkeit. Monster waren das, sie hatten Monster hervorgebracht.
Er warf einen Zehn-Dollar-Schein auf den Tisch, schlürfte seinen Kaffee aus und stand auf. »Gehen wir.«
Sie sprang auf. »Wohin?«
»Koula ist bei euch.«
Er marschierte voraus, ohne Rücksicht auf sein krankes Bein. Hinter sich hörte er ihre schnellen Schritte, bis sie ihm etwas zurief und er sich umdrehte. Sie stand mit dem Schlüssel in der Hand vor ihrem Auto.
»Sag Koula, dass ich einkaufen bin.« Es war unerträglich. Er stellte sich vor, wie seine Frau ihn verhöhnen würde, wenn sie erfuhr, dass er gescheitert war. Was war er für ein alter Narr zu glauben, dass man ihn respektierte und auf ihn hörte.
»Ich denke, du solltest besser mit nach Hause kommen.«
»Ich gehe einkaufen.«
Sie schloss den Wagen auf.
»Sorry, Manoli, es tut mir leid.«
Er drehte sich um und ging weiter. Die Worte kamen ihr leicht über die Lippen, aber sie bedeuteten nichts. Für Australier war dieses Wort wie ein Gesang. Sorry, sorry, sorry. Es tat ihr nicht leid. Er hatte gedacht, sie empfände Liebe und Respekt für ihn. Jahrelang hatte er diese Hoffnung genährt. Wie eitel und wie dumm von ihm. Was war er doch für ein alter Narr. Noch nie hatte er sie um etwas gebeten, und er würde es auch nie wieder tun.
Sorry
. Er spuckte das Wort aus, als wäre es Gift.
»Du kannst dich glücklich schätzen, Thimio«, flüsterte er in den Wind, »wie lange muss ich noch warten, bis der Tod mich holt?«
Er mied die Geschäfte an der High Street. Er war nicht in der Stimmung, sich Schaufenster anzusehen. Bei dem Gedanken an all die sinnlosen Verlockungen drehte sich ihm der Magen um. Außerdemwollte er nicht auf seine Nachbarn treffen, die alten griechischen Männer und Frauen, die sich grüppchenweise dort versammelten, so wie früher als Jugendliche auf dem Dorfplatz. Er war vor einer Ewigkeit von dort weggegangen, hatte die ganze Erdkugel umrundet, um seinem Dorf zu entkommen, aber das Dorf war mit ihm mitgekommen. Er bog in eine Seitenstraße und lief im Zickzack durch die kleinen Gassen bis zur Merri Station. Eine junge, verschleierte Muslimin stand auf dem Bahnsteig. Sie war noch ein Kind, eine Schülerin. Ihre Augen huschten hin und her, sie wirkte nervös. Er lächelte sie an. Um diese Uhrzeit sollte sie besser nicht allein auf dem Bahnsteig stehen. Sie senkte den Blick. Auch sie hatte ihr Dorf mitgebracht, wo immer sie auch herkommen mochte. Er ging an ihr vorbei und spähte in den Aufenthaltsraum. Ein Teenager,
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