Nur eine Ohrfeige (German Edition)
aussehen? War sie von nun an zum ersten Mal in ihrem Erwachsenenleben jemand anderem samt seiner Launen, Ansprüche und Bedürfnisse verpflichtet?
»Und ich rufe Rosie an.«
Sie hätte etwas sagen können. Sie hätte etwas sagen
müssen
. Sie wollte Rosie nicht dabeihaben. Aber sie wusste, warum Aish es wollte. Aish wollte, dass sie wieder Freundinnen waren. Aishwollte, dass sich das Verhältnis zwischen ihnen entspannte. Sie wollte, dass sie sich zusammen betranken, Freundinnen waren, irgendwelchen Quatsch redeten. Anouk hätte sagen können: Nein, ich muss mit dir reden, mit dir allein. Sie hätte es sagen
müssen
, aber sie tat es nicht.
»Okay. Wann kannst du Schluss machen?«
»Um halb vier. Brendan wird schon nichts dagegen haben.«
»Sagen wir halb fünf. Dann sind wir immer noch vor der Happy Hour da.«
»Perfekt.«
Anouk legte auf und sah in den Spiegel. Sie zog ihre Bluse hoch und betrachtete ihren Bauch. Er war flach, der Bauch einer jungen Frau. Wenn Rosie am Freitag dabei war, wusste sie schon, wie das Gespräch verlaufen würde. Sie würde es ihnen erzählen, und sie würden sich furchtbar für sie freuen. Rosie würde sich gar nicht mehr einkriegen, und Aish würde fragen, wie sie sich fühlte. Sie würde ihre Bedenken äußern, und Rosie würde sagen, nichts ginge über die Erfahrung, ein Kind zu bekommen, und dass alle Frauen eine Geburt erleben sollten. Sie würde zuhören und dann weitere Einwände vorbringen. Aish würde auf jeden einzelnen eingehen und dann sagen, sie solle sich noch nicht gleich entscheiden. Dass sie später nochmal in Ruhe darüber reden sollten. Anouk würde Kette rauchen, und Rosie würde sie damit aufziehen, dass die Zeiten ja jetzt vorbei seien. Anouk würde das Wort sagen – nicht Schwangerschaftsabbruch, sondern Abtreibung –, und Rosie würde ängstlich gucken und Aish unergründlich. Rosie würde Tränen in den Augen haben, und Aish würde ihnen neue Drinks bestellen. Rosie würde sie anflehen, es nicht zu tun, und Aish würde versuchen zu vermitteln. Rosie würde auf die Toilette gehen, und Aish würde fragen: Bist du dir sicher? Rosie würde mit roten Augen zurückkommen und Anouk nicht ansehen. Dann würde Anouk ihre Hand nehmen und ihr sagen, dass sie natürlich wissen wollte, wie es sich anfühlte, dass sie davon träumte, ein Kind zu haben, aber sie habe eben auch Angst und sei durcheinander.Rosie wäre erst mal besänftigt, und sie würden über andere Dinge reden und lachen und sich betrinken. Anouk würde irgendwann gehen und ihren Freundinnen versprechen, nichts zu überstürzen.
Plötzlich wurde Anouk klar, dass sie ihren Freundinnen gar nicht erzählen würde, dass sie schwanger war. Sie warf noch einmal einen kritischen Blick in den Spiegel. Sie war keine Schönheit, aber sie hatte sich gut gehalten, sie hatte Stil und sie fiel auf. Sie hatte Klasse, und mit zunehmendem Alter war das wichtiger, als gut auszusehen. Klasse ließ einen nicht im Stich. Sie sah so alt aus, wie sie war, aber sie sah fantastisch aus. Sie war selbstbewusst, sie fühlte sich wohl und sie hatte ein gutes Leben. Aber das war nicht genug. Sie wollte etwas erreichen, etwas Besonderes. Fernsehen war nichts Besonderes. Rhys war nichts Besonderes. Sie wollte ein Buch schreiben, das aufrüttelte, bewegte und auf der ganzen Welt bekannt wurde. Sie wollte den großen Erfolg. Oder grandios scheitern. Das war egal. Sie wollte nicht, dass die angenehme, bequeme Mittelmäßigkeit, in der sie sich bisher gesuhlt hatte, das Leben war, auf das sie später einmal zurückblickte.
Möglicherweise würde sich das mit einem Kind ändern, aber ein Kind würde ihr keinen Erfolg bescheren. Das Kind würde lediglich bewirken, dass sie sich endgültig in ihre eigene Mutter verwandeln würde. Sie bezweifelte nicht, dass sie in der Lage war, ein Kind großzuziehen – sie wäre bestimmt eine engagierte, liebevolle Mutter. Vielleicht würde sie ihr Kind auch mit ihrer Fürsorge ersticken und von ihm erwarten, dass es ihre eigenen Träume erfüllte, weil sie glaubte, dass es ihr das schuldig war. Sie wäre keine Mutter, sie wäre ein Drachen. Es lag ihr im Blut – ihre Mutter war so gewesen, und ihre Schwester entwickelte sich gerade in dieselbe Richtung. Nicht, dass Anouk deswegen Groll gegen ihre Mutter hegte, überhaupt nicht. Ihre Mutter war immer unerbittlich und mutig gewesen, sie hatte die Familie, die Gesellschaft und die Liebe herausgefordert. Und sie hatte ihre Töchter dazu erzogen, genauso
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