Nur eine Ohrfeige (German Edition)
einer Hochzeit nach Sydney mitgenommen hatten und sie zum ersten Mal verschleierte Frauen gesehen hatte. In Perth hatten sie mit den Orthodoxen nichts zu tun gehabt. Diese Frauen hatten ihr Angst gemacht, selbst die jüngeren sahen uralt aus.
»Ja, bei den Orthodoxen verhüllen sie teilweise auch ihre Gesichter. Diese Frauen lassen sich wie den letzten Dreck behandeln«, fügte sie energisch hinzu.
»Shamira sagt, es gebe ihr Kraft. Und Selbstvertrauen.«
Bitte nicht, dachte Anouk, ich will nicht wieder mit dieser blöden Diskussion anfangen. Dass Fragen nach Gott und Religion erneut auf der Tagesordnung standen, war ihr ein Greuel. Sie fühlte sich zunehmend beengt von der Moralität und der Desorientiertheit dieses neuen Jahrhunderts. Sie hatte Gott schon vor langer Zeit abgeschworen, noch als Kind. Atheist zu sein, war für sie normal gewesen, sozusagen etwas, das man von ihr erwartete. Das neue Jahrhundert breitete sich in seiner unbarmherzigen Primitivität vor ihr aus. Sie wünschte, sie wäre zwanzig Jahre früher geboren worden. Zwanzig Jahre früher und als Mann.
»Ich finde es schlimm, wenn Frauen verschleiert sind. Ich hasse das. Es macht mich wütend, dass sie sich das von den Männern gefallen lassen.«
Rosie sah sie schockiert und missbilligend an. Auch Anouk war von Aishas Vehemenz überrascht.
»Aber Aish«, antwortete Rosie, »nicht alle muslimischen Frauen werden dazu gezwungen. Das weißt du doch. Du bist sicherlich auch dafür, dass sie das Recht haben zu tragen, was sie wollen.«
Anouk konnte sich nicht beherrschen. »Lasst uns bitte aufhören. Ich habe keine Lust auf diese bescheuerte Diskussion.«
»Warum?« Rosie ließ nicht locker. Sie wandte sich an Aisha. »Glaubst du, Shamira belügt sich selbst, wenn sie sagt, der Schleier gebe ihr Kraft?«
»Shamiras Kraft kommt von Terry. Shamiras Mutter ist Alkoholikerin, ihre Schwester ein Junkie und ihr Vater weiß der Himmel wo. Es ist Terry, der ihr Kraft gibt, und nicht ein Stück Stoff über dem Mund.« Aishas Finger wanderten in Richtung Zigarettenschachtel, machten aber davor halt.
»Und der Glaube gibt Bilal Kraft«, erklärte Rosie beharrlich.
Anouk wusste, dass Rosie recht hatte. Sie erinnerte sich daran, wie Terry vor seiner Konversion gewesen war, an seinen Witz, seinen jungenhaften Charme, aber auch an die Gewalttätigkeit, die hinter seiner fröhlichen, unbekümmerten Art schlummerte, die Aggressivität, die an die Oberfläche trat, sobald er betrunken war. Sein offenes, freundliches Gesicht verfiel unaufhaltsam und wurde fetter, und es ging ständig ein unangenehmer Schnapsgeruch von ihm aus. Zu ihrer Verwunderung hatte ihr Jahre später bei einem Essen bei Hector und Aisha ein völlig anderer Mensch die Hand geschüttelt. Damals hatte er noch nicht seinen neuen muslimischen Namen angenommen, war aber schon konvertiert und lernte Arabisch. Sein Blick war klar, die Haut rein, er hatte zugenommen. Er wirkte ausgeglichen, als hätte er endlich inneren Frieden gefunden. Sie hatte ihn nie für einen glücklichen Mensch gehalten, aber an jenem Abend hatte er zumindest zufrieden ausgesehen. Um ehrlich zu sein, war sie angesichts der ethnischen Probleme ihres Landes und ihrer eigenen Vorurteile nicht davon ausgegangen, dass er diese Aggressivität je ablegen und zur Ruhe kommenwürde. Sie hatte geglaubt, er würde so sterben – als zorniger junger Mann. Sie grinste. Ihr kam ein blasphemischer Gedanke, den sie Rosie gegenüber nie erwähnen würde: Früher war er ein zorniger junger Mann gewesen, und jetzt war er fromm und langweilig.
Stattdessen nickte sie. »Das stimmt. Aber können wir bitte über etwas anderes als Religion sprechen? Ich dachte, Gott wäre kurz vor meinem neunten Geburtstag gestorben, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Ich hasse es, unrecht zu haben. Lasst uns das Thema wechseln.«
Jim sah noch immer zu ihr rüber. Sie war froh, eine Frau zu sein, zu trinken, zu flirten, sich zu amüsieren.
Rosie lachte. »Abgemacht. Reden wir nicht mehr über Gott. Sie hat mir einfach sehr geholfen. Ich glaube, wir werden richtige Freundinnen.«
»Wer?«
Anouk war von dem Geflirte mit Jim abgelenkt und hatte den Faden verloren. Lag diese Zerstreutheit etwa an ihrer Schwangerschaft?
»Shamira«, erwiderte Rosie, warf Aisha kurz einen Blick zu und sah dann schnell wieder weg.
»Inwiefern hat sie dir geholfen?« »Sie war mir eine große Stütze. Wegen der Geschichte mit Hugo.«
Dazu sage ich jetzt nichts, dachte
Weitere Kostenlose Bücher