Nur eine Ohrfeige (German Edition)
hervorrief. Selbst dir gegenüber war ich abweisend, und später in London meintest du, du hättest mich herzlos und arrogant gefunden, und dass du der Meinung warst, England hätte das aus mir gemacht. Ich hätte dir schon damals sagen sollen, dass ich HIV-positiv bin, aber ich hatte Angst, und Mum hat mich angefleht, es nicht zu tun. Ja, sie wusste es. Abgesehen davon, dass sie sich geschämt hat, ist sie sehr gut damit umgegangen. Und nein, Dad hat sie natürlich nie etwas davon gesagt.
Connie ist gesund. Wahrscheinlich wurde sie gezeugt, bevor Marina und ich uns den Virus eingefangen haben. Oder aber, Gott sei es gedankt, sie hatte einfach Glück.
Ach, Schwesterherz, selbst jetzt ist mein erster Impuls zu lügen. Sogar wo mein Ende naht und ich mich hinter diesem Brief verstecke, bin ich feige. Ich war es, der Marina angesteckt hat. Ich weiß genau, wann der Virus meinen Körper befallen hat. Im verdammten Soho, wo auch sonst. Auf der Toilette eines Clubs, tief im Darm des schwulen Londons, wo ein Typ namens Joseph mir einen Schuss Heroin gesetzt hat. Ich war betrunken, ich war fasziniert von seiner Schönheit, und ich wollte an dem Abend unbedingt mit einem Mann ins Bett. Also, gevögelt haben wir nicht – dafür hat die Droge gesorgt –, aber in dem Moment, als er mir die Nadel in die Vene stach, wusste ich, dass ich geliefert war.
Das war jedes Mal der schlimmste Teil für sie. Jedes Mal.
Ein Jahr lang habe ich Marina hart und oft gevögelt und wahrscheinlich auf ein Wunder gehofft, das uns retten könnte. Sie ist, wie du weißt, vor fünf Jahren gestorben. Ich habe ihr das alles nie gebeichtet, und sie hat mir nie die Schuld gegeben. Und vielleicht hätte sie es sogar dann nicht, wenn ich es ihr erzählt hätte. Wer weiß, an welche geheimen Orte ihre Laster sie geführt haben!
Das ist ein echtes Geständnis, was? Marina ist in ihren letzten Jahren
Buddhistin geworden. Ich selbst fürchte mich leider immer noch zu sehr vor unserem strengen monophysitischen Gott. Ich war kein schlechter Mensch, ganz bestimmt nicht, aber auch wenn ich nicht für den letzten Höllenkreis bestimmt bin, kann ich mich nicht ganz von dem Gedanken lösen, dass an den alten Patriarchen etwas dran ist. Ich habe mich in meinem Leben an so wenig gehalten. Ich bin äußerst unerleuchtet.
Connie ist fast vierzehn, sie geht auf eine Gesamtschule in Südlondon. Sie ist klug und sehr gut in der Schule. Für ihr Alter ist sie, zwangsläufig, ziemlich weit. Es ist allerdings erstaunlich, wie gut sie mit dem Tod ihrer Mutter und meiner Krankheit fertig wird. Sollte es unter ihren Freunden Vorurteile oder Ignoranz gegeben haben, hat sie davon jedenfalls nichts durchblicken lassen, und ich denke eher, dass diejenigen, die ihr nahestehen, sie unterstützt haben. Die Mutter ihrer Freundin Allen ist eine Lesbe, und ihre beste Freundin Zara ist eine unglaublich coole Türkin (Zara hat zwei Jahre lang ihr Taschengeld gespart, um sich ein beknacktes Prada-Shirt kaufen zu können! Es war nicht so sehr der Wunsch nach einem Prada-Shirt, der mich beeindruckt hat – verrückt nach Labels sind die Leute überall, was mir im Übrigen eher zuwider ist –, sondern die Tatsache, dass sie entschlossen genug war, so lange dafür zu sparen).
Ich weiß nicht, ob du viel mit Teenagern zu tun hast, Schwesterherz, aber mich faszinieren und beflügeln sie. Von unserer Generation kann ich das nicht behaupten. Nicht, dass ich die Jugend von heute romantisieren würde. Sie sind grausam und definitiv Kinder der Ära Thatcher, auch wenn sie ständig die richtigen ökologischen und antirassistischen Plattitüden von sich geben. Sie haben wenig für einen übrig, wenn man es, aus welchen Gründen auch immer, nicht schafft, erfolgreich zu sein. Selbst die Jungs aus den Problemvierteln, die Connie beschnuppern, machen sich über jeden lustig, der nicht von schnellen Autos und einer unternehmerischen Zukunft träumt. Aber sie sind keine Heuchler, und anders als wir geben sie nicht vor, über alles Bescheid zu wissen oder sich für irgendjemand anderen als für sich selbst starkzumachen. Ist das bei euch auch so?
Draußen regnet es, und demnächst kommt eine Tagesschwester, die ungefähr die Hälfte von meiner Stütze kassiert. Ich lebe immer noch von der Stütze – auch das sollte Dad wahrscheinlich besser nicht wissen. Hat er sich inzwischen zur Ruhe gesetzt oder schuftet und trinkt er immer noch die ganze Zeit und lamentiert, dass seine Kinder nicht wissen,
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