Nur eine Ohrfeige (German Edition)
muss daran denken, wie wir über die alte Mrs. Radiç nebenan gelacht haben, wenn sie Selbstgespräche über die Leiden des Exils führte. Und nun empfinde ich genauso. Arme Mrs. Radiç, hier sprechen sie wenigstens meine Sprache. Sie machte die Armut und den Krieg für ihr Exil verantwortlich. An meinem bin nur ich selbst schuld, oder?
Liebes Schwesterherz, sag unserem Bruder und unserem Vater die Wahrheit. Wenn meine Connie sie in ihrem Alter erträgt, dann ertragen es die beiden auch. Ich will nicht, dass Connie mit Lügen aufwächst, und da ich will, dass sie meine Familie kennenlernt, will ich, dass meine Familie ihrer würdig ist. Lüg sie ja nie an.
Die Krankenschwester ist da. Sie fragt mich, wem ich schreibe, und ich habe geantwortet, einer der drei Frauen, die ich wirklich geliebt habe. Das sind Marina, meine Connie, und das bist immer du gewesen.
Ich küsse dich, Natasha.
Dein dich liebender Bruder
Luke
Connie faltete den Brief zusammen und legte ihn wieder unten in die Dose. Aus dem Computer kam ein Klingelton. Zara war online. Sie wischte sich die Tränen weg und fing an, Zara von der Party zu berichten. Sie erzählte von dem atemberaubenden Kleid, das sie getragen hatte, von Richie, von Jenna und Jordan und von dem E, das sie genommen hatten. Und sie erzählte ihr in allen Einzelheiten,was zwischen Ali und ihr gelaufen war, jedes Detail, an das sie sich erinnern konnte, wie er aussah, wie er klang, wie er roch und wie er schmeckte. Sie erzählte ihr alles.
Gegen Mittag wachte sie auf. Ihr dröhnte der Schädel, und als sie den Stapel Schulbücher auf ihrem Schreibtisch sah, stöhnte sie. Sie schlurfte in die Küche. Tasha kochte Fisch. Es roch nach Zitronengras und Koriander.
»Ich kann nichts essen.«
»Doch, du kannst. Weiß der Himmel, was du gestern genommen hast, aber Fisch ist in jedem Fall das Beste für dich.« Tasha klopfte sich an den Kopf. »Gehirnnahrung. Gut für den Serotoninspiegel.«
Connie setzte sich an den Tisch. Sie warf einen Blick auf das Titelblatt der Zeitung und zog dann die Fernsehbeilage raus.
»Ich geh heute nicht aus dem Haus«, kündigte sie an.
»Rosie hat für dich angerufen. Sie fragt, ob du am Mittwoch auf Hugo aufpassen kannst.«
Connie nickte. »Klar.«
»Ich habe gesagt, du kannst nicht.«
»Ist ja nur für ein paar Stunden«, protestierte sie.
»Nein. Das ist dein letztes Jahr, Connie. Du musst jede Menge lernen, und dann stehen die Prüfungen an. Du machst sowieso schon zu viel. Ich habe ihr jedenfalls gesagt, dass du nicht kannst. Ich will nicht, dass sie irgendwann auf dich angewiesen sind.«
»Rosie hat es nicht leicht. Sie hat keine Familie in Melbourne. Und dann diese Anhörung, die ihnen bevorsteht. Sie kann an nichts anderes mehr denken.«
»Manche Menschen machen sich das Leben selbst schwer.«
»Er hat Hugo geschlagen.«
Ihre Tante antwortete nicht.
»Es gibt keine Entschuldigung dafür, wenn ein Erwachsener ein Kind schlägt. Ich hoffe, er kommt ins Gefängnis«, erklärte Connie mürrisch.
Tasha fing an, den Fisch zu würzen. »Weißt du, was mir an der Jugend nicht gefällt? Dass ihr so gnadenlos seid.«
Connie reagierte nicht. Sie hatte Kopfweh und wollte keinen Streit anfangen. Sie dachte an Ali. Sie hatte weder seine Nummer noch er ihre. Würde er versuchen, sie von Jordan zu bekommen? Würde er sie anrufen oder würden sie sich erst wieder in der Schule sprechen? Sie überflog das Fernsehprogramm für Sonntag. Es lief nur Mist.
»Tash, wenn ich heute Nachmittag ein paar Stunden arbeite, fährst du mich dann später in die Videothek? Ich brauche eine DVD.«
Tasha erhitzte Öl im Wok und warf Ingwer und Knoblauch hinein. Connie stellte fest, dass sie am Abend zuvor nicht viel gegessen hatte. Sie stand auf und nahm ihre Tante in den Arm.
»Ich geh nur schnell duschen.«
»Drei Minuten. Dann ist es fertig. Und unnötig Wasser verschwenden muss man auch nicht.«
»Drei Minuten.« In der Tür fuhr sie herum. »Ist noch Schokolade da?«
Tasha biss sich auf die Lippen.
Connie tat empört. »Du hast doch nicht gestern Nacht noch alles aufgegessen?«
»Okay, okay. Wir besorgen noch eine Tafel, wenn wir die DVD holen.«
»Danke, Tashie. Du bist ein Schatz. In fünfzehn Minuten bin ich zum Essen fertig.« Connie drehte sich um und marschierte summend ins Bad.
»Gnadenlos«, hörte sie ihre Tante sagen. »Einfach gnadenlos.«
ROSIE
Rosie ließ sich in die Badewanne sinken, das Wasser war kochend heiß. Langsam
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