Nur einen Kuss, Kate!
Jemand hatte sich womöglich verletzt, selbst wenn es der Dieb war, der Strafe verdiente! Sie trieb das Pferd zu einem leichten Galopp an, und als sie die Rückseite des Stalles erreichte, sah sie eine Gestalt ausgestreckt auf dem gefrorenen Boden liegen.
Kate blieb fast das Herz stehen. Nein, das durfte nicht sein. Sie ritt näher heran und sprang aus dem Sattel, wobei sie so geistesgegenwärtig war, das Pferd an einem nahen Strauch festzubinden. Die Reglosigkeit des am Boden Liegenden ließ nichts Gutes ahnen.
Schwer atmend fiel sie neben dem Bewusstlosen auf die Knie und drehte ihn vorsichtig um. Lieber Gott, betete sie, gib, dass er nicht verletzt ist!
“Jack! Was ist mit Ihnen?” Keine Antwort. Sie legte ihre Wange an seine Brust. Sein Herz schlug stetig. Gottlob! Rasch ließ sie ihre Hände über seine Gliedmaßen gleiten. Nichts war gebrochen. Auch am Kopf konnte sie keine Verletzung entdecken, doch war er totenblass und eiskalt.
Kate streifte ihre Pelisse herunter und umhüllte ihn damit, ehe sie Kopf und Schultern auf ihren Schoß bettete. So konnte sie ihn wenigstens ein wenig wärmen. Wenn er nicht zu sich kam, musste sie ihn allein lassen und Hilfe suchen, doch solange er so bleich und kalt dalag, konnte sie ihn nicht verlassen.
Sie hielt ihn eng an sich gedrückt und betete darum, dass ihm nichts geschehen sein möge und bald jemand zu Hilfe käme. Mit einer Hand hielt sie sein Kinn umfasst und drückte seinen Kopf an ihre Brust, mit der anderen strich sie ihm das Haar aus der Stirn und raunte ihm beruhigende Worte ins Ohr.
Sie war fast schon gewillt, ihn allein zu lassen, als Jack die Augen aufschlug und sie verständnislos anstarrte. “Sie?”, hauchte er und schloss die Augen wieder.
“Wie fühlen Sie sich?”, frage Kate leise.
“Höllisch”, murmelte er.
“So schlimm sieht es nicht aus.”
Er öffnete ein Auge und betrachtete sie spöttisch. “Dann ist es ja gut.” Sekundenlang blieb er so liegen, dann erst schien er gewahr zu werden, in welcher Position er dalag, und setzte sich ächzend auf, nur um fluchend in seiner Bewegung innezuhalten, als ein jäher Schmerz sein Bein durchschoss.
“Sie haben sich auch nichts gebrochen”, beruhigte Kate ihn.
“Das wissen Sie wohl genau.”
Kate ging ihm nicht auf den Leim. “Ja, ich kenne mich ein wenig aus, aber das brauchen Sie nicht zu glauben. Doch jetzt wäre es am besten, wenn Sie sich rühren, da es auf dem Boden zu kalt ist.”
Wieder sah er sie an, und seine Miene umwölkte sich, als er sah, dass sie zitterte. Dann fiel sein Blick auf die Pelisse, die sie über ihn gebreitet hatte. Mit einer Verwünschung schob er den Umhang von sich und warf ihn ihr fast wütend zu. “Ziehen Sie das sofort an! Wollen Sie sich den Tod holen?”
Kate ging nicht darauf ein. “Können Sie aufstehen?”
Jack bewegte sein krankes Bein ein wenig und stöhnte. “Gehen kann ich, aber es fragt sich, ob Ihre Ohren die Ausdrücke ertragen, die diese Mühe mir entlocken wird.”
Kate lachte laut. Als ob er nicht fast bei jedem Atemzug geflucht hätte! “Kommen Sie, legen Sie die Arme um meine Schultern, und versuchen Sie aufzustehen.”
Er setzte sich auf, und sie schob ihre Schulter unter seine Achsel. Langsam, mit zusammengepressten Lippen und ohne einen Laut kam er auf die Beine. Als er aufrecht dastand, wirkte er erschöpft, weiße Linien um seinen Mund verrieten, dass er Schmerzen litt.
“Können Sie denn gehen?”, fragte Kate zögernd. “Ich könnte eine Tragbahre bringen lassen.”
“Verdammt will ich sein, wenn ich mich wie ein Krüppel gebärde”, murmelte er verbittert.
“Und ich dachte schon, es würde für Sie zu anstrengend sein, auf Flüche zu verzichten. Da jedoch Ihre Zunge in gewohnter Hochform zu sein scheint, brauche ich mir Ihrer sonstigen Verfassung wegen keine Sorgen zu machen.”
Unwillkürlich zuckte es um seine Lippen. Sich schwer auf sie stützend, ging er los, zum Haus. Nach einer Weile sagte er: “Sie sind ein außergewöhnliches Mädchen.”
“Wieso?”
“Die meisten Frauen hätten theatralisch reagiert, hätten Tränen vergossen und hysterische Anfälle bekommen. Sie aber besitzen die Gelassenheit, mich wegen meiner Flucherei zu verspotten.”
“Wäre es Ihnen denn lieber, ich bekäme hysterische Anfälle?”
Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. “O Gott, nein! Der Himmel bewahre mich vor dergleichen Frauenzimmern!”
Sie setzten ihren mühevollen Weg fort, ehe sie zu einer kurzen Rast
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