Nur einen Kuss, Kate!
war herrschsüchtig, eigensinnig und empörend, besonders wenn er sie bei irgendetwas ertappte und sie mit einem boshaften Funkeln seiner blauen Augen anlachte.
Und launisch. An manchen Tagen von freundlicher Wärme, und dann aus heiterem Himmel von verzehrender Intensität. Dann schien sein Blick sie finster zu durchdringen, er stürzte hinaus und zog sich kalt und verbittert zurück.
Am Morgen war es am schlimmsten. Meist stürmte er von draußen in die Küche, setzte sich schwerfällig an den Tisch, verdrossen und wortlos, um eine Tasse Kaffee nach der anderen zu trinken. Zuweilen aber aß er keinen Bissen und hinkte finster und grimmig einfach durch die Küche nach oben, um sich zurückzuziehen und sich vermutlich zu betrinken. Anstatt sich seinen Dämonen zu stellen, zog er es offenbar vor, sie zu ersäufen.
An solchen Tagen zehrte sein Unglück an ihr und warf ihre guten Vorsätze über den Haufen. Es waren Tage, an denen es ihr schwerfiel, daran zu denken, dass sie nur seine Haushälterin war, da sie gern mehr gewesen wäre. Sie verzehrte sich danach, die Arme um ihn zu legen, ihn zu trösten und ihn aus seiner Niedergeschlagenheit zu reißen.
Kate hielt auf den Wald zu. Die Stimmung hätte nicht zauberhafter sein können, als die erste Morgendämmerung sich über die stille Landschaft stahl und die kahlen, vom Frost gezeichneten Äste klar hervortreten ließ. Ihr Atem hing in der reglosen Luft vor ihr. Von Weitem hörte sie einen jungen Hahn krähen, aus noch größerer Entfernung Hundegebell. Ihr war, als wäre sie der einzige Mensch auf der Welt. Kate kostete dieses Gefühl voll aus und ging weiter.
Plötzlich vernahm sie Hufgetrappel hinter sich, ganz nahe – viel zu nahe. Sie sprang beiseite, just als ein reiterloses Pferd mit losen Zügeln und baumelnden Steigbügeln an ihr vorübersprengte.
Erschrocken kroch sie aus dem dichten Unterholz, strich ihre Röcke glatt und streifte den Schmutz von den Händen. Ein Unfall, der Reiter war abgeworfen worden! Sollte sie zurücklaufen und nachsehen, ob jemandem etwas passiert war, oder sollte sie zuerst versuchen, das Pferd einzufangen? Wenn die Zügel sich verhedderten oder hängen blieben, konnte sich das Pferd verletzen. Sie lief weiter und gelangte zu einem Zaun, vor dem der große Rotschimmel schnaubend stehen geblieben war. Ruhig ging Kate näher, während sie einschmeichelnd und beruhigend auf das Tier einredete.
Sie war sicher, dass es eines von Jacks Pferden war. Ihr war es unverständlich, warum er sich so viele Pferde hielt, wenn er nicht reiten konnte. Es war das Pferd, das sie an ihrem ersten Morgen auf Sevenoakes gesehen hatte, ein feuriges Tier, dem die Bewegung fehlte. Sie war häufig Zeuge gewesen, wie es sich losriss und von Carlos wieder eingefangen werden musste.
Hatte ein Dieb es stehlen wollen? Wenn ja, dann hatte er einen Fehler begangen. Von Carlos wusste sie, dass dieses Pferd nur Jack als Reiter duldete, da er es selbst aufgezogen und zugeritten hatte.
“Komm her … brav”, lockte sie den Rotschimmel. Sie streckte die Hand aus, als böte sie ihm einen Leckerbissen. Als das Pferd neugierig den Hals streckte, griff Kate entschlossen nach den baumelnden Zügeln.
Sofort versuchte es sich loszureißen, sie aber hielt es fest und hörte nicht auf, beruhigend auf das Tier einzureden. Sie hatte Pferde immer geliebt, und diese schienen es zu spüren. Jacks Rotschimmel war keine Ausnahme. Unter Kates beruhigendem Einfluss hörte er bald auf zu zittern und ließ ein zutrauliches Schnauben hören. Jetzt galt es festzustellen, ob sie sich im Sattel halten konnte.
Da das Tier vor einem fremden Reiter scheute und Kate durch ihre langen Röcke behindert wurde, gelang es ihr nur unter erheblichen Schwierigkeiten aufzusitzen, wobei sie den Zaun als Aufstiegshilfe benutzte. Erst bäumte das Pferd sich unter ängstlichem Schnauben auf, Kate aber hielt sich fest und brachte das Tier mit festem Zügel und beruhigenden Worten unter Kontrolle, bis der Rotschimmel, der unter dem ungewohnt leichten Gewicht tänzelte, auf dem schmalen Pfad zurücktrabte.
Zuerst war Kate völlig davon in Anspruch genommen, das Pferd unter ihre Kontrolle zu bringen, doch als sie spürte, dass es ihre Überlegenheit akzeptierte, war sie selig – es war so lange her, seitdem sie geritten war, zumal ein so edles Tier.
Als sie den Wald hinter sich ließen, sah sie Hufabdrücke auf dem Feld, das ans Haus anschloss, und ihr fiel ihre ursprüngliche Absicht wieder ein.
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