Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
Vom Netzwerk:
Sportraum der Stasi-Bezirksverwaltung hat er eine auffallend braune Gesichtsfarbe. Sein ganzes Äußeres verkörpert den Typ Mann, bei dem viele Frauen schwach werden. Seine Dienstwaffe, eine Makarow 9 mm, trägt er in einer leichten Stofftasche unter seinem linken Oberarm.
    Pünktlich um 10 Uhr betreten Hauptmann Wohlgemuth und Leutnant Wappler den Raum. Zessel begrüßt seine Genossen mit Handschlag und bittet, Platz zu nehmen. Hauptmann Wohlgemuth gehört zu den ältesten Genossen und wird in wenigen Jahren in Rente gehen. Durch seine ruhige Art und sein schlohweißes Haar hat er eine väterliche Ausstrahlung. Er setzt sich rechts vor Zessel an den ersten der eckigen weißen Tische und stellt seine lederne Aktentasche auf den freien Stuhl neben sich. Hauptmann Wohlgemuth kommt aus der Abteilung VI, zuständig für Passkontrolle, Tourismus und Interhotels.
    Leutnant Wappler setzt sich ihm gegenüber. Wappler ist mit 35 Jahren der Jüngste der drei. Er ist klein, dick, trägt kurzes lockiges Haar und eine goldumrandete Brille. Er legt seinen Diplomatenkoffer mit goldenem Zahlenschloss auf den benachbarten freien Tisch, entnimmt ihm ein weißes Blatt Papier und einen goldenen Füllfederhalter der Marke Markant, den er exakt am oberen Rand des leeren Blattes ausrichtet. Leutnant Wappler vertritt die Abteilung VIII, die für Ermittlungen, Observierungen, Durchsuchungen und Festnahmen zuständig ist. Wappler hat ein Grinsen aufgesetzt, dabei zuckt er nervös mit den Augenbrauen.
    Während die beiden Genossen der anderen Abteilungen Platz genommen haben, hat Oberleutnant Zessel einen großen rotgelben Apfel aus seinem Schreibtisch genommen und ihn sorgfältig am Waschbecken gewaschen. Jetzt trocknet er ihn mit einem Stofftaschentuch ab, das er danach ordentlich wieder zusammenfaltet. Den Apfel legt er vor sich auf dem Schreibtisch.
    Hauptmann Wohlgemuth versteht das als ein Zeichen, dass jetzt gefrühstückt werden darf, und entnimmt seiner Aktentasche ein belegtes Brot. Es steckt in einer ausgewaschenen Milchtüte aus Plastik. Wohlgemuth sieht nach, womit das Brot belegt ist, nimmt eine Hälfte und beißt hinein.
    Oberleutnant Zessel und Leutnant Wappler tauschen einen verächtlichen Blick. Zessel räuspert sich, Wappler feixt, wobei sein dicker Bauch vibriert. Hauptmann Wohlgemuth legt sein Brot zurück in die Milchtüte.
    »Genossen«, eröffnet Zessel das Gespräch. »Sie wissen, warum wir heute zusammengekommen sind. Ich habe Sie vorab kurz über den Verdächtigen Jonas Maler informieren lassen, fasse aber noch einmal kurz zusammen.«
    Ohne eine Manuskriptvorlage formuliert Zessel den bisherigen Ermittlungsstand frei aus dem Gedächtnis: »Besagter Jonas Maler ist seit Jahren auffällig durch staatsfeindliche Äußerungen in seinem Freundes- und Bekanntenkreis sowie provokatives Auftreten im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Journalist der sozialistischen Blockpresse. Er bemüht sich intensiv um Kontakte ins NSW, unterhält eine rege Korrespondenz ins feindliche Ausland. Eine seiner typischen Provokationen ist die wiederholt getätigte öffentliche Äußerung, dass er sich angeblich in unserer sozialistischen Gesellschaft bevormundet und eingesperrt fühlt. Besonders abfällig äußert er sich über die Sicherung unserer Staatsgrenze vor feindlichen Angriffen. In diesem Zusammenhang hat er, laut unabhängigen Berichten mehrerer IMs, mehrfach den Begriff >moderne Leibeigenschaft< verwendet. Dies tat er völlig hemmungslos in der Öffentlichkeit und offensichtlich in dem Bewusstsein, die anwesenden Zuhörer zu provozieren.
    Alle Versuche einer Einflussnahme durch progressive Kräfte -wie Parteimitglieder oder Angehörige des MfS - haben zu keiner Gesinnungswandlung des Jonas Maler geführt. Im Gegenteil. Seine feindlich-negative Grundhaltung scheint sich noch mehr verfestigt zu haben. Es steigt damit die Gefahr weiterer  provokativer Äußerungen oder gar politisch negativer Handlungen in der sozialistischen Öffentlichkeit.
    Genossen, das war der Ermittlungsstand bis vor wenigen Wochen. Inzwischen scheint seine feindlich-negative Haltung zu unserem Staat eine neue Qualität gewonnen zu haben. Jonas Maler hat intensive persönliche, möglicherweise auch intime Kontakte zu einer USA-Bürgerin mit Namen Julia McCandle aufgenommen. Wie es zu dieser Kontaktaufnahme kam, ist noch unklar. Es ist nicht auszuschließen, dass sie gezielt auf Initiative westlicher Geheimdienste erfolgte.
    Besagte Julia McCandle lebt nach

Weitere Kostenlose Bücher