Nur Engel fliegen hoeher
sichere Person. Aber sei vorsichtig in der Wortwahl. Sein Telefon wird sehr wahrscheinlich abgehört.«
Julia lächelt. »Ich habe dir vorsorglich auch so einen Zettel geschrieben. Also: meine Privatadresse für den Notfall. Darunter die Adresse von Anna Brügge, einer Rentnerin aus West-Berlin. Sie macht bei uns sauber und besucht gelegentlich ihre Schulfreundin in Pankow.«
»Wir verhalten uns wie Agenten im Kalten Krieg.«
Julia steht auf, fischt ihren winzigen Tanga aus der Jeans und schlüpft hinein. Jonas kniet vor ihr auf dem Bett, umfasst ihre Hüfte und küsst ihre Brüste.
»No, Darling, ich muss gehen.«
Die Knie werden ihr weich. Jonas lässt sich nach hinten fallen und zieht Julia auf sich.
»Zu spät, ich hab schon meinen Slip an.«
»Es ist nie zu spät«, sagt Jonas und schiebt den Tanga zur Seite.
Als sie sich wieder loslassen, flüstert er: »Bist du tatsächlich die große Liebe, die jedem Menschen nur einmal im Leben begegnet?«
»Wir werden viele einsame Stunden lang Zeit haben, darüber nachzudenken.«
Sie ziehen sich schweigend an. Dann fährt Jonas Julia zum Grenzübergang in der Friedrichstraße.
Kapitel 8
Oberleutnant Zessel arbeitet in der Abteilung II der Bezirksverwaltung Rostock des Ministeriums für Staatssicherheit. Zum Aufgabengebiet dieser operativen Abteilung gehören unter anderem Spionageabwehr, Observierung von Diplomaten, Arbeit im und nach dem Operationsgebiet BRD/West-Berlin sowie Observierung von im Lande weilenden Ausländern. Im Januar 1989 besteht die Abteilung II aus fünf Referaten mit 52 Genossen, darunter 30 Offiziere zur Führung der Inoffiziellen Mitarbeiter. Dieser Abteilung untergeordnet ist die Abteilung M, der die Kontrolle des Brief-, Paket und Telegrammverkehrs obliegt. Hier arbeiten weitere 122 Mitarbeiter in neun Referaten.
Das Büro von Oberleutnant Zessel liegt in der oberen Etage des MfS-Gebäudekomplexes in der Rostocker August-Bebel-Straße. Die Tür zu seinem Büro ist innenseitig mit einer dicken Schalldämmung gepolstert, die mit schwarzem Kunstleder überzogen ist. Das über zwanzig Quadratmeter große, längliche Zimmer hat an der Stirnseite eine vom Fußboden bis zur Decke reichende Schrankwand, in der sich Akten befinden. Niemand, der das Zimmer betritt, erahnt nur im Entferntesten, woran Zessel arbeiten könnte. Das Zimmer ist hell tapeziert, in der senkrecht gestreiften Tapete wechseln sich weiße und gelbliche Töne ab. Die zwei großen Fenster mit den dazu passenden gelben Vorhängen sowie eine große Zimmerlinde und ein Gummibaum lassen das Büro nicht unfreundlich, beinahe etwas sonnig wirken.
Oberleutnant Zessel residiert an einem großen, schräg in den Raum gestellten Schreibtisch, auf dem eine bronzene, fast lebensgroße Büste von Ernst Thälmann steht. An der Wand hinter dem Schreibtisch hängen zwei gleich große Schwarz-Weiß-Porträts: eines von Felix Edmundowitsch Dzierzynski, dem Begründer der sowjetischen Tscheka, und eines von Minister Erich Mielke in hölzernen Rahmen.
Neben der Thälmann-Büste liegt als einziges Utensil ein Brieföffner in Form eines verkleinerten Bajonetts, wie es auf die sowjetische Kalaschnikow aufgesteckt werden kann. Vor dem Schreibtisch des Oberleutnants stehen hintereinander drei identische Tische aus verschweißtem Stahlprofil mit Arbeitsplatten aus weißem Sprelacart, um sie herum gruppieren sich sieben Stühle aus Alurohr mit hölzernen Sitzflächen und Rückenlehnen.
An der Wand gegenüber der Fensterfront hängt eine Reproduktion des Gemäldes »Junges Paar am Strand« von Erich Womacka. Auch dieses Bild lässt den Raum freundlich erscheinen. Hinter dem Stuhl des Oberleutnants ist ein kleines Regal an die Wand geschraubt. Darauf steht ein schönes Schachspiel. Die Figuren sind aus Bein geschnitzt. Die weißen Bauern und Offiziere tragen die Uniformen von Rotgardisten, die schwarzen Gegenspieler die von Weißgardisten. Links neben der Eingangstür ist eine kleine Fläche weiß gefliest. Dort hängt ein Waschbecken mit einem Elektroboiler darüber.
Oberleutnant Zessel ist vierzig Jahre alt, einsfünfundachtzig groß, schlank und sportlich durchtrainiert. Er hat einen kurzen Haarschnitt und trägt einen eleganten Anzug aus DDR-Produktion. Zessel pflegt sein Jackett stets über seine Stuhllehne zu hängen. Darunter trägt er einfarbige Hemden in hellen Pastelltönen mit aufgesetzten Taschen und Schulterstücken. Vom regelmäßigen Besuch des einzigen Solariums in Rostock im
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