Nur Engel fliegen hoeher
derzeitigem Ermittlungsstand in West-Berlin und verkehrt in diplomatischen Kreisen des Gegners. Nach Informationen unserer sowjetischen Genossen, die aber seitens des MfS noch nicht bestätigt werden konnten, ist jene weibliche Person die Lebensgefährtin eines gewissen Marc Davis, USA-Bürger, Beauftragter für innere Sicherheit an der USA-Botschaft in unserer Hauptstadt.«
Leutnant Wappler spitzt seinen Mund und stößt einen leisen Pfeif ton aus.
Zessel fährt fort: »Der Verdacht der illegalen Kontaktaufnahme zwecks feindlicher Agententätigkeit wird dadurch erhärtet, dass alle uns bekannten Treffen in einem konspirativen Umfeld stattfanden, teilweise unter grobem Missbrauch der von unserem Staat geschaffenen, großzügigen Transitregelungen.«
Hauptmann Wohlgemuth hebt leicht den Finger. »Genosse Zessel, bevor wir hier den jungen Mann weiter in die Peilung nehmen, hätte ich gern gewusst, was er konkret ausgefressen hat.«
»Reicht das nicht?«
»Aber ich erkenne noch keinen Hinweis auf eine Agententätigkeit für eine feindliche Flagge.«
»Er wurde am 23. Dezember von unseren Sicherheitsorganen nach einem nächtlichen konspirativen Treffen gestellt, als besagte Julia McCandle gesetzeswidrig die Transitwege verlassen hatte. Daraufhin hat er hartnäckig versucht, zu ihr ins Interhotel einzudringen. Am vorigen Wochenende traf er sich mit besagter USA-Bürgerin in unserer Hauptstadt. Die Dame nutzte unsere großzügigen Einreisebestimmungen, übernachtete jedoch nicht gemäß den gültigen Gesetzen in einem Interhotel, weil ihr dort nicht gestattet wurde, in einem Zimmer mit dem Verdächtigen Jonas Maler zu wohnen. Stattdessen nächtigten beide in der Wohnung eines staatsfeindlichen Elementes, das keiner geregelten Arbeit nachgeht und illegal Motorräder repariert. Es besteht der dringende Verdacht, dass Jonas Maler und die USA-Staatsbürgerin Intimitäten austauschen.«
»Genosse Zessel, wenn einer unserer Staatsbürger mit einer Bürgerin eines anderen Landes in die Koje fällt, dann ist er in meinen Augen immer noch kein Agent.«
»Genosse Wohlgemuth, ich kann nicht nachvollziehen, wieso Sie so leichtfertig versuchen, den Fall herunterzuspielen. Wir leben in einer Zeit verstärkter Klassenauseinandersetzung. Unser Auftrag lautet, jedem Anfangsverdacht nachzugehen und dem Gegner keine Chance zu lassen.«
»Genau, dem Gegner keine Chance«, pflichtet Leutnant Wappler bei, zuckt nervös mit den Augenbrauen und schraubt an seinem goldenen Füllfederhalter.
»Genossen«, hakt Hauptmann Wohlgemuth wieder ein, »als ich jung war, herrschte Krieg. Wie ihr wisst, wurde ich zur Marine eingezogen. Und ich habe im Untergrund gearbeitet. Wenn einer von uns Jungkommunisten eine Freundin hatte, dann gehörte die normalerweise dem Bund Deutscher Mädel an. Deswegen waren wir doch keine Agenten, wenn wir mit einem dieser Mädchen in die Koje gingen.«
Zessel hält seinen Brieföffner in der Hand und fährt mit der Bajonettspitze über das Gesicht der Thälmann-Büste. »Sollten wir die Geschichte verharmlosen und nicht wachsam genug beobachten«, sagt er ernst, »und es stellt sich dann heraus, dass doch, in welcher Form auch immer, illegale Nachrichten ausgetauscht werden, was durchaus zum Persönlichkeitsprofil des Jonas Maler passen würde, Genossen, dann kostet uns das alle Kopf und Kragen.« Und nach einer Pause ergänzt er: »Es kann natürlich sein, dass die beiden völlig harmlos sind und vielleicht nur ein erotisches Verhältnis haben. Dann könnte es durchaus passieren, dass das Schwert der Partei möglicherweise einmal zu viel zuschlägt. Aber lieber einmal zu viel als einmal zu wenig.«
»Genauso sehe ich es auch, Genosse Zessel«, sagt Leutnant Wappler. »Wo gehobelt wird, da fallen Späne.«
»Genossen«, unterbricht Wohlgemuth wieder, »ich weiß nicht, ob das noch immer die richtigen Manöver sind. Ich habe etliche junge Leute erlebt, die wir, nicht zuletzt durch zu scharfen Gegenwind, dazu gedrängt haben, unserem Land das Heck zu zeigen. Nicht jeder, der einen politischen Witz macht oder einfach sagt, dass er auch mal einen fremden Hafen sehen will, muss ein Feind unserer sozialistischen Gesellschaft sein. Viel zu oft hatten unsere Zersetzungsmaßnahmen zur Folge, dass die jungen Leute dann für immer die Segel strichen. Ich gebe zu bedenken, dass wir noch nie so viele Übersiedlungsersuche hatten wie gegenwärtig.«
»Bei allem Verständnis für das von Ihnen gesagte, Genosse Wohlgemuth, ein
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