Nur Engel fliegen hoeher
Tschekist darf sich nie dem Gegner beugen. Nie.«
Leutnant Wappler nickt Zessler zu.
»Genosse Wappler, welche operativen Maßnahmen schlagen Sie vor?«
»Konsequente Unterbrechung aller Kommunikationsmöglichkeiten wie Post, Telefon und Telegramm. Einreiseverbot für die Amerikanerin. Berlin-Verbot für den Jonas Maler. Beschaffung von belastendem Material, das eine Kriminalisierung und strafrechtliche Verfolgung des Jonas Maler ermöglicht.«
»Das ist mir nicht intelligent genug.« Zessel berührt mit der Spitze seines Brieföffners den vor ihm liegenden Apfel. »Bei einer Unterbrechung der Kontaktmöglichkeiten ziehen sie sich entweder ganz zurück oder sie suchen Informationswege, die wir schwer kontrollieren können. Wenn die beiden etwas Geheimes im Schilde führen, was absolut der Psyche des Jonas M. entsprechen könnte, dann müssen wir es herauskitzeln. Unter Stress könnten sie einen Fehler begehen, der sie verrät. Was halten Sie von einer offenen Observierung beim nächsten Treffen?«
»Sehr gute Idee, Genosse Oberleutnant.« Wappler grinst und kritzelt etwas mit seinem goldenen Füller.
»Ich muss dazu noch mal was sagen«, mischt sich Hauptmann Wohlgemuth ein. »Wir betreiben damit einen operativen Aufwand an Personal, Zeit und Geld, den die beiden meines Er-achtens nicht wert sind. Auch bei aller Wachsamkeit, die stets geboten ist. In den Werften unserer Stadt mangelt es an Arbeitskräften, Material, Fahrzeugen. Und wir verschleudern gesellschaftliches Arbeitsvermögen für eine lächerliche Liebesbeziehung. Mehr ist es in meinen Augen wirklich nicht. Der operative Aufwand steht meiner Meinung nach in keinem Verhältnis zu dem, was wir am Ende erfahren werden.«
»Genosse Wohlgemuth, Sie riskieren viel. Wir haben hier die nicht alltägliche Chance, einer geheimen Agententätigkeit auf die Spur zu kommen. Sollte uns dabei ein dicker Fisch ins Netz gehen, profitieren wir alle davon. Nicht nur die Bürger unseres Landes, sondern auch wir, so wie wir hier sitzen. Und zwar ganz persönlich.«
An Wappler gewandt, fährt Zessel fort: »Ich erwarte von Ihrer Abteilung einen detaillierten Operativplan. Mit permanenter Kontrolle des Post-, Telefon- und Telegrammverkehrs zwischen beiden Verdächtigen. Nicht nur sämtliche Nachrichten von und nach West-Berlin. Beziehen Sie auch die Post aus beziehungsweise in die DDR-Hauptstadt mit ein. Ich traue denen zu, dass sie über Deckadressen kommunizieren. Ich erwarte eine fahndungsmäßige Erfassung des Verdächtigen Jonas Maler an jedem Wochenende sowie eine konspirative Überwachung der Amerikanerin ab Einreise in die DDR. Außerdem eine offene Überwachung ab dem Moment, wenn die beiden sich treffen. Und zwar rund um die Uhr.«
»Zu Befehl, Genosse Oberleutnant.«
Zessel setzt die Spitze des Brieföffners auf den Apfel und sticht ihn mit einem Fausthieb durch.
Kapitel 9
Die Tage nach dem Treffen in Berlin empfindet Jonas wie Folter. Ständig denkt er an Julia. Wenn in der Redaktion sein Telefon schrillt, bangt er, sie könne es sein. Er weiß, dass sie nicht so unvorsichtig sein wird, hier anzurufen. Doch jedes Mal, wenn er den Hörer abnimmt, ist er dennoch enttäuscht, nicht ihre Stimme zu hören. Seine Gedanken kreisen darum, wie er mit ihr kommunizieren könnte ... Ihr in einem Brief von seinem tiefen Gefühl schreiben. Oder ein paar Worte in einem Telegramm. Oder ein kurzes Telefonat. Die Ohnmacht macht ihn fast wahnsinnig.
Immer wieder beginnt er einen Brief. Doch er fürchtet, dass dieser Brief in falsche Hände geraten könnte, möglicherweise in die Hände ihres Freundes, und jede Chance eines weiteren Treffens unsäglich erschweren würde.
Am Donnerstag nach ihrer Begegnung findet er einen merkwürdigen Umschlag in seinem Briefkasten. Seine Anschrift ist in altdeutscher Schrift geschrieben. Auf der Rückseite des Kuverts steht, ebenfalls handschriftlich: Anna Brügge, Berlin. Der Brief ist mit einer 20-Pfennig-DDR-Marke frankiert und in Ost-Berlin abgestempelt. Jonas begreift endlich und reißt ihn auf. Der Text ist mit Schreibmaschine geschrieben. Kein Ort, kein Datum, keine namentliche Anrede, kein Absender.
Mein Prinz,
du hast mich verzaubert Ich denke immerzu nur an dich. Bin
ganz krank vor Sehnsucht Will mit dir auf die Insel.
Kann ich dich anrufen? Am Freitagabend bei deinem Pastor?
Ich drücke dich ganz fest an mich. In Liebe.
Jonas springt auf vor Freude. Er hastet zum Auto, fährt zur Hauptpost nach Rostock und nimmt
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