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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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dreht sich ums Geld. Bei uns funktioniert das nur noch so: arbeiten, Geld ausgeben, arbeiten, Geld ausgeben.«
    »Vielleicht ist der Mensch einfach so.«
    »Nein, Jonas! Nicht noch mehr Geld und noch größere Autos und noch mehr Parkplätze! Das kann es doch nicht sein.«
    »Du könntest in einem Dorf wie Vitt leben?«
    »Ja! Ich habe nie einen schöneren Ort gesehen.«
    »Du bist ein freier Mensch und dürftest hierher übersiedeln.«
    Jonas findet einen Donnerkeil und reicht ihn Julia.
    »Danke. Es gibt zwei Gründe, die mich davon abhalten.«
    Jonas bleibt stehen und sieht ihr in die Augen.
    »Der erste: Ich bin in Freiheit aufgewachsen und möchte nicht freiwillig in ein Gefängnis gehen. So schön es hier ist. Ich hätte immer Angst, die Stasi könnte aus dem Paradies eine Hölle machen.«
    »Und der zweite?«
    »Du bist verheiratet und hast eine Familie. Woher soll ich die Hoffnung schöpfen, dass du, wenn ich hierher ziehe, auch wirklich zu mir kommst?«
    Sie gehen lange schweigend an der Steilküste entlang in Richtung Kap Arkona.
    »Julia, ich bin neunundzwanzig. Ich habe meine Frau mit achtzehn geheiratet, und wir haben ein Kind in die Welt gesetzt, damit wir eine Wohnung bekommen. So eine Neubauwohnung, auch genannt Arbeiterschließfach. Hätten wir das nicht gemacht, müssten wir jetzt möglicherweise noch immer bei unseren Eltern wohnen oder in einem lausigen Internat. Später durften wir die Neubauwohnung gegen ein heruntergekommenes altes Haus in der Nähe von Rostock tauschen. So funktioniert das bei uns.«
    »Mit einem Kind hast du Verantwortung übernommen. Du und deine Tochter werden furchtbar leiden, wenn du dich von ihr trennst.«
    »Meine Frau weiß schon lange, dass ich in den Westen will. Das wäre auch eine Trennung. Sie würde nie mitgehen. Sie ist Künstlerin und hat eine kleine Töpferwerkstatt, offiziell anerkannt vom Staat und vom sozialistischen Kunstbetrieb gehätschelt.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Wenn meine Frau einmal im Monat ihre Keramik verkauft, kommen die Kunden von weit her und stehen Schlange.«
    »Was hat das mit deiner Beziehung zu ihr zu tun?«
    »Sie lebt gut und sicher in der DDR und will hier nicht weg.«
    »Und sie weiß wirklich, dass du raus willst? Wie kann sie damit leben?«
    »Ich kann diese Leibeigenschaft nicht ewig ertragen. Und sie weiß das.«
    »Also hat eure Familie keine Chance? Völlig unabhängig von mir?«
    »Ellen weiß, dass ich mich eingesperrt fühle und mich das krank macht.«
    »Und das hat wirklich nichts mit mir zu tun?«
    »Natürlich hat es jetzt auch mit dir zu tun. Seit ich nach unserer ersten Begegnung zurück nach Rostock fuhr, habe ich dich nicht vergessen können. Ich habe versucht, das Feuer niederbrennen zu lassen. Aber ich konnte es nicht löschen.«
    »Das ist ein Gefühl, dass du in der Beziehung zu deiner Frau vielleicht nur lange, lange vergessen hast.«
    »Julia, ich liebe dich.«
    »Sei vorsichtig mit diesen Worten. Ja, wir hatten Sex auf der Kirchenmauer... Es war schön. Aber wir kennen uns überhaupt nicht.«
    »Es liegt an uns.«
    »Wenn die Stasi mich nicht mehr über die Grenze lässt, werden wir beide vor Sehnsucht zugrunde gehen.«
    »Die werden dich immer reinlassen, weil sie gierig auf deine bunten Scheine sind.«
    »Ich weiß nicht, ob ich mir das ewig antun will. Diese Grenze. Der Stress mit Marc, wenn er davon erfährt. Und das alles nur, um in der DDR eine Familie zu zerstören.«
    »Wir beide wissen, dass wir auf jeder Seite einen Haufen Scherben zurücklassen werden.«
    »Ist es das wert?«
    »Es liegt an uns, Julia. Daran, ob wir es wirklich wollen.«
    »Vertrauen kann ich dir erst, wenn du es schaffst, ohne mein Zutun ein eigenes Leben zu beginnen. Ich hätte sonst immer Angst, das mit uns beiden wäre für dich ein Abenteuer und irgendwann gingst du zurück zu deiner Familie. Verstehst du das?«
    Sie steigen über große runde Steine, die das Meer aus der Küste gewaschen hat. Einige Findlinge liegen im Flachwasser. Sie balancieren oder springen von Stein zu Stein.
    »Was würde mich erwarten, wenn es mir gelänge abzuhauen und ich stünde eines Tages in West-Berlin vor deiner Tür?«
    »Was soll die Frage?«
    »Es ist genau das Gleiche, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Auch du lebst in einer festen Beziehung.«
    »Was soll ich dir darauf antworten?«
    »Deinen Plan für einen solchen Fall.«
    »Meinen Plan? Mein Gott, wird denn bei euch alles von der Geburt bis zum Tod geplant? Das Leben hat so viele

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